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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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die Sitte des Leichenbrandes ihnen so ausschliesslich geläufig
gewesen sein, dass eine andere Weise der Bestattung ihnen
gar nicht in den Sinn kam. In den homerischen Gedichten
werden nicht nur die Griechen vor Troja, nicht nur Elpenor
fern der Heimath, nach dem Tode verbrannt; auch den Eetion
bestattet in dessen Vaterstadt Achill durch Feuer (Il. 6, 418),
auch Hektor wird ja mitten in Troja durch Feuer bestattet,
auch die Troer überhaupt verbrennen ja, im eigenen Lande,
ihre Todten (Il. 7). Die Lade oder Urne, welche die ver-
brannten Gebeine enthält, wird im Hügel geborgen, in der Fremde
ruht die Asche des Patroklos, des Achill, des Antilochos, des
Ajas (Od. 3, 109 ff.; 24, 76 ff.), Agamemnon denkt nicht daran,
dass, wenn sein Bruder Menelaos vor Ilios sterbe, dessen Grab
anderswo sein könne, als in Troja (Il. 4, 174 ff.). Es besteht
also nicht die Absicht, die Reste des Leichnams nach der
Heimath mitzunehmen 1), nicht dies kann der Grund des Brennens
sein. Man wird sich nach einem anderen, alterthümlicher
Empfindungsweise näher als die Rücksicht auf einfache Zweck-
mässigkeit liegenden Grunde umsehen müssen. Jakob Grimm 2)
hat die Vermuthung ausgesprochen, dass der Brand der Leiche
eine Opferung des Gestorbenen für den Gott bedeute. In
Griechenland könnte dies nur ein Opfer für die Unterirdischen
sein; aber nichts weist in griechischem Glauben und Brauch
auf eine so grausige Vorstellung hin 3). Den wahren Zweck
des Leichenverbrennens wird man nicht so weit zu suchen
haben. Wenn als Folge der Vernichtung des Leibes durch

1) Ein einziges Mal ist davon die Rede, dass man die Gebeine der
Verbrannten mit nach Hause nehmen könne: Il. 7, 334 f. Mit Recht
erkannte Aristarch hierin einen Verstoss gegen Gesinnung und thatsäch-
liche Sitte im übrigen Homer, und hielt die Verse für die Erfindung
eines Nachdichters (s. Schol. A Il. H 334. D 174. Schol. E M Q Odyss.
g 109). Die Verse könnten eingeschoben sein, um das Fehlen so enor-
mer Leichenhügel, wie die Beisetzung der Asche beider Heere hätte
hervorbringen müssen, in Troas zu erklären.
2) Kleine Schriften II 216. 220.
3) Näher läge sie römischem Glauben. Vgl. Virgil, Aen. 4, 698. 699.
Aber auch das ist doch anders gemeint.

die Sitte des Leichenbrandes ihnen so ausschliesslich geläufig
gewesen sein, dass eine andere Weise der Bestattung ihnen
gar nicht in den Sinn kam. In den homerischen Gedichten
werden nicht nur die Griechen vor Troja, nicht nur Elpenor
fern der Heimath, nach dem Tode verbrannt; auch den Eetion
bestattet in dessen Vaterstadt Achill durch Feuer (Il. 6, 418),
auch Hektor wird ja mitten in Troja durch Feuer bestattet,
auch die Troer überhaupt verbrennen ja, im eigenen Lande,
ihre Todten (Il. 7). Die Lade oder Urne, welche die ver-
brannten Gebeine enthält, wird im Hügel geborgen, in der Fremde
ruht die Asche des Patroklos, des Achill, des Antilochos, des
Ajas (Od. 3, 109 ff.; 24, 76 ff.), Agamemnon denkt nicht daran,
dass, wenn sein Bruder Menelaos vor Ilios sterbe, dessen Grab
anderswo sein könne, als in Troja (Il. 4, 174 ff.). Es besteht
also nicht die Absicht, die Reste des Leichnams nach der
Heimath mitzunehmen 1), nicht dies kann der Grund des Brennens
sein. Man wird sich nach einem anderen, alterthümlicher
Empfindungsweise näher als die Rücksicht auf einfache Zweck-
mässigkeit liegenden Grunde umsehen müssen. Jakob Grimm 2)
hat die Vermuthung ausgesprochen, dass der Brand der Leiche
eine Opferung des Gestorbenen für den Gott bedeute. In
Griechenland könnte dies nur ein Opfer für die Unterirdischen
sein; aber nichts weist in griechischem Glauben und Brauch
auf eine so grausige Vorstellung hin 3). Den wahren Zweck
des Leichenverbrennens wird man nicht so weit zu suchen
haben. Wenn als Folge der Vernichtung des Leibes durch

1) Ein einziges Mal ist davon die Rede, dass man die Gebeine der
Verbrannten mit nach Hause nehmen könne: Il. 7, 334 f. Mit Recht
erkannte Aristarch hierin einen Verstoss gegen Gesinnung und thatsäch-
liche Sitte im übrigen Homer, und hielt die Verse für die Erfindung
eines Nachdichters (s. Schol. A Il. H 334. Δ 174. Schol. E M Q Odyss.
γ 109). Die Verse könnten eingeschoben sein, um das Fehlen so enor-
mer Leichenhügel, wie die Beisetzung der Asche beider Heere hätte
hervorbringen müssen, in Troas zu erklären.
2) Kleine Schriften II 216. 220.
3) Näher läge sie römischem Glauben. Vgl. Virgil, Aen. 4, 698. 699.
Aber auch das ist doch anders gemeint.
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[28/0044] die Sitte des Leichenbrandes ihnen so ausschliesslich geläufig gewesen sein, dass eine andere Weise der Bestattung ihnen gar nicht in den Sinn kam. In den homerischen Gedichten werden nicht nur die Griechen vor Troja, nicht nur Elpenor fern der Heimath, nach dem Tode verbrannt; auch den Eetion bestattet in dessen Vaterstadt Achill durch Feuer (Il. 6, 418), auch Hektor wird ja mitten in Troja durch Feuer bestattet, auch die Troer überhaupt verbrennen ja, im eigenen Lande, ihre Todten (Il. 7). Die Lade oder Urne, welche die ver- brannten Gebeine enthält, wird im Hügel geborgen, in der Fremde ruht die Asche des Patroklos, des Achill, des Antilochos, des Ajas (Od. 3, 109 ff.; 24, 76 ff.), Agamemnon denkt nicht daran, dass, wenn sein Bruder Menelaos vor Ilios sterbe, dessen Grab anderswo sein könne, als in Troja (Il. 4, 174 ff.). Es besteht also nicht die Absicht, die Reste des Leichnams nach der Heimath mitzunehmen 1), nicht dies kann der Grund des Brennens sein. Man wird sich nach einem anderen, alterthümlicher Empfindungsweise näher als die Rücksicht auf einfache Zweck- mässigkeit liegenden Grunde umsehen müssen. Jakob Grimm 2) hat die Vermuthung ausgesprochen, dass der Brand der Leiche eine Opferung des Gestorbenen für den Gott bedeute. In Griechenland könnte dies nur ein Opfer für die Unterirdischen sein; aber nichts weist in griechischem Glauben und Brauch auf eine so grausige Vorstellung hin 3). Den wahren Zweck des Leichenverbrennens wird man nicht so weit zu suchen haben. Wenn als Folge der Vernichtung des Leibes durch 1) Ein einziges Mal ist davon die Rede, dass man die Gebeine der Verbrannten mit nach Hause nehmen könne: Il. 7, 334 f. Mit Recht erkannte Aristarch hierin einen Verstoss gegen Gesinnung und thatsäch- liche Sitte im übrigen Homer, und hielt die Verse für die Erfindung eines Nachdichters (s. Schol. A Il. H 334. Δ 174. Schol. E M Q Odyss. γ 109). Die Verse könnten eingeschoben sein, um das Fehlen so enor- mer Leichenhügel, wie die Beisetzung der Asche beider Heere hätte hervorbringen müssen, in Troas zu erklären. 2) Kleine Schriften II 216. 220. 3) Näher läge sie römischem Glauben. Vgl. Virgil, Aen. 4, 698. 699. Aber auch das ist doch anders gemeint.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/44>, abgerufen am 23.04.2024.