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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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im Großen, weder in dem Augenblick, in welchem sie erschienen,
noch Jahre lang nachher eine besondere Wirkung gehabt. Die
Masse des Adels las damals, und selbst noch in den ersten
Jahrzehnten der Regierung Stanislaw Augusts überhaupt so
gut wie gar nicht1), und es erklärt sich hieraus schon allein,
daß jene Schriften sehr bald nach ihrem Erscheinen in Ver-
gessenheit kamen2).

Erst als ein jüngeres Geschlecht aufwuchs, fanden ihre
Ideen, zunächst auch nur bei wenigen, einen Anklang. Der
reißende Fortschritt des inneren Verfalls der Republik, ihre
immer sich steigernde Abhängigkeit von Rußland öffneten doch
manchem die Augen. Die Reisen der jüngeren "Herren" ins
Ausland; der längere Aufenthalt, welchen mehrere am Hofe
Leszczynski's in Lüneville und Nancy nahmen, der eine Pflanz-
schule höherer Bildung für diese Jugend ward; die Vergleichung
der Zustände anderer Nationen mit den heimischen; endlich
der neue Geist der Aufklärung, welcher gegen die Mitte des
Jahrhunderts sich überall in Europa Bahn zu brechen begann:
das alles schärfte allmählig den Blick für die tiefen Schäden,
an welchen die Republik krankte, für die Gefahren, welche
hieraus ihr drohten, und führte zugleich zu der Einsicht, daß
Polen ohne tiefgreifende innere Reformen seinem Untergange
entgegeneile. Schon Karwicki hatte gemahnt: die Nation müsse
nur nicht selbst sich verlassen und nicht müßig erwarten, was
das Geschick über sie verhänge, sondern vielmehr zu handeln
sich entschließen, und nicht dem Zufall überlassen, was durch
entschlossene Weisheit verbessert werden könne3).

Können wir nun auch nicht nachweisen, daß jene Schriften
auf dies jüngere Geschlecht unmittelbar eingewirkt haben, so

1) Vgl. K. Kozmian, Pam. I, p. 119.
2) Die Glos wolny soll, wie in dem neuen Krakauer Abdruck von
1858 mitgetheilt wird, im Jahre 1790 von einem gewissen Bukara
wieder abgedruckt worden sein. Karwicki und Jablonowski sind erst vor
einigen Jahren von neuem gedruckt. Garczynski ist meines Wissens auch
jetzt nur in dem höchst seltenen ersten Druck vorhanden.
3) Karwicki, De ordinanda republica, p. 5.

im Großen, weder in dem Augenblick, in welchem ſie erſchienen,
noch Jahre lang nachher eine beſondere Wirkung gehabt. Die
Maſſe des Adels las damals, und ſelbſt noch in den erſten
Jahrzehnten der Regierung Stanislaw Auguſts überhaupt ſo
gut wie gar nicht1), und es erklärt ſich hieraus ſchon allein,
daß jene Schriften ſehr bald nach ihrem Erſcheinen in Ver-
geſſenheit kamen2).

Erſt als ein jüngeres Geſchlecht aufwuchs, fanden ihre
Ideen, zunächſt auch nur bei wenigen, einen Anklang. Der
reißende Fortſchritt des inneren Verfalls der Republik, ihre
immer ſich ſteigernde Abhängigkeit von Rußland öffneten doch
manchem die Augen. Die Reiſen der jüngeren „Herren“ ins
Ausland; der längere Aufenthalt, welchen mehrere am Hofe
Leszczynski’s in Lüneville und Nancy nahmen, der eine Pflanz-
ſchule höherer Bildung für dieſe Jugend ward; die Vergleichung
der Zuſtände anderer Nationen mit den heimiſchen; endlich
der neue Geiſt der Aufklärung, welcher gegen die Mitte des
Jahrhunderts ſich überall in Europa Bahn zu brechen begann:
das alles ſchärfte allmählig den Blick für die tiefen Schäden,
an welchen die Republik krankte, für die Gefahren, welche
hieraus ihr drohten, und führte zugleich zu der Einſicht, daß
Polen ohne tiefgreifende innere Reformen ſeinem Untergange
entgegeneile. Schon Karwicki hatte gemahnt: die Nation müſſe
nur nicht ſelbſt ſich verlaſſen und nicht müßig erwarten, was
das Geſchick über ſie verhänge, ſondern vielmehr zu handeln
ſich entſchließen, und nicht dem Zufall überlaſſen, was durch
entſchloſſene Weisheit verbeſſert werden könne3).

Können wir nun auch nicht nachweiſen, daß jene Schriften
auf dies jüngere Geſchlecht unmittelbar eingewirkt haben, ſo

1) Vgl. K. Koz̀mian, Pam. I, p. 119.
2) Die Glos wolny ſoll, wie in dem neuen Krakauer Abdruck von
1858 mitgetheilt wird, im Jahre 1790 von einem gewiſſen Bukara
wieder abgedruckt worden ſein. Karwicki und Jablonowski ſind erſt vor
einigen Jahren von neuem gedruckt. Garczynski iſt meines Wiſſens auch
jetzt nur in dem höchſt ſeltenen erſten Druck vorhanden.
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[29/0043] im Großen, weder in dem Augenblick, in welchem ſie erſchienen, noch Jahre lang nachher eine beſondere Wirkung gehabt. Die Maſſe des Adels las damals, und ſelbſt noch in den erſten Jahrzehnten der Regierung Stanislaw Auguſts überhaupt ſo gut wie gar nicht 1), und es erklärt ſich hieraus ſchon allein, daß jene Schriften ſehr bald nach ihrem Erſcheinen in Ver- geſſenheit kamen 2). Erſt als ein jüngeres Geſchlecht aufwuchs, fanden ihre Ideen, zunächſt auch nur bei wenigen, einen Anklang. Der reißende Fortſchritt des inneren Verfalls der Republik, ihre immer ſich ſteigernde Abhängigkeit von Rußland öffneten doch manchem die Augen. Die Reiſen der jüngeren „Herren“ ins Ausland; der längere Aufenthalt, welchen mehrere am Hofe Leszczynski’s in Lüneville und Nancy nahmen, der eine Pflanz- ſchule höherer Bildung für dieſe Jugend ward; die Vergleichung der Zuſtände anderer Nationen mit den heimiſchen; endlich der neue Geiſt der Aufklärung, welcher gegen die Mitte des Jahrhunderts ſich überall in Europa Bahn zu brechen begann: das alles ſchärfte allmählig den Blick für die tiefen Schäden, an welchen die Republik krankte, für die Gefahren, welche hieraus ihr drohten, und führte zugleich zu der Einſicht, daß Polen ohne tiefgreifende innere Reformen ſeinem Untergange entgegeneile. Schon Karwicki hatte gemahnt: die Nation müſſe nur nicht ſelbſt ſich verlaſſen und nicht müßig erwarten, was das Geſchick über ſie verhänge, ſondern vielmehr zu handeln ſich entſchließen, und nicht dem Zufall überlaſſen, was durch entſchloſſene Weisheit verbeſſert werden könne 3). Können wir nun auch nicht nachweiſen, daß jene Schriften auf dies jüngere Geſchlecht unmittelbar eingewirkt haben, ſo 1) Vgl. K. Koz̀mian, Pam. I, p. 119. 2) Die Glos wolny ſoll, wie in dem neuen Krakauer Abdruck von 1858 mitgetheilt wird, im Jahre 1790 von einem gewiſſen Bukara wieder abgedruckt worden ſein. Karwicki und Jablonowski ſind erſt vor einigen Jahren von neuem gedruckt. Garczynski iſt meines Wiſſens auch jetzt nur in dem höchſt ſeltenen erſten Druck vorhanden. 3) Karwicki, De ordinanda republica, p. 5.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/43>, abgerufen am 28.03.2024.