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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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zu ziehen. Agamemnon und die übrigen Achäer sind bemüht, die
Streitenden zu trennen und Frieden zu stiften. Mit lebendigster
Klarheit steht die ganze Situation, steht auch das ganze Werden
derselben vor unsern Augen, mit wenigen meisterhaften Strichen
ist der Charakter der Haupthelden gezeichnet. Aias, hastig
zufahrend, hat sich gleich der Waffen des gefallenen Achilleus
bemächtigt und den Panzer angelegt, um zu prüfen, ob auch ihm dies
Werk des Hephaistos passe. Dann ist Odysseus gekommen, in
schlauer Rede seine Ansprüche geltend zu machen. Aufbrausend
hat Aias das Schwert gezogen, ohne sich auch nur Zeit zu nehmen,
den Panzer völlig anzulegen -- das zeigt die offen stehende
Schulterklappe. Odysseus klug und bedächtig zieht erst das
Schwert, da er angegriffen ist 31).

Mit dieser schärferen Begrenzung der Situation hört natür-
lich auch die Möglichkeit auf, den ganzen Verlauf der Handlung
auf einmal darzustellen. Daher verfällt man darauf, die Sage in
mehreren, zunächst zwei oder drei Scenen zu erzählen; nament-
lich in der Gefässmalerei boten die beiden Seiten der Amphora
und des Kraters oder die beiden Aussenseiten und die Innenseite
der Trinkschale die beste Gelegenheit zu einer pointierten Gegen-
überstellung zweier besonders wichtiger Momente der Handlung,
wie denn das Gegenbild der eben geschilderten Komposition des
Duris die Abstimmung der Achäer über Aias und Odysseus zu
Gunsten des letzteren darstellt.

Der Einfluss des Dramas zeigt sich auch darin, dass die
Nebenfiguren jetzt nicht nur mit grösserer Sorgfalt ausgewählt und
wo möglich in enge, freundschaftliche oder verwandtschaftliche
Beziehung zu den Hauptfiguren gesetzt werden, sondern auch
nicht teilnahmlos und nur mit sich selbst beschäftigt dastehen,

31) Die richtige Deutung dieser gegenwärtig im Wiener Industriemuseum
befindlichen Durisvase (M. d. I. VIII T. XLI. Wiener Vorlegebl. Ser. VI
Taf. I s. die Abbildung unten in dem Excurs Oplon krisis) hat zuerst
W. Klein auf der Innsbrucker Philologen-Versammlung ausgesprochen (Ver-
handl. d. XXIX. Philologen-Versammlung S. 154); auch Brunn war schon
vorher zu derselben Deutung gekommen (a. a. O. S. 151). Die im Text ge-
gebene Erklärung weicht in einigen Punkten von Klein ab. S. unten.

zu ziehen. Agamemnon und die übrigen Achäer sind bemüht, die
Streitenden zu trennen und Frieden zu stiften. Mit lebendigster
Klarheit steht die ganze Situation, steht auch das ganze Werden
derselben vor unsern Augen, mit wenigen meisterhaften Strichen
ist der Charakter der Haupthelden gezeichnet. Aias, hastig
zufahrend, hat sich gleich der Waffen des gefallenen Achilleus
bemächtigt und den Panzer angelegt, um zu prüfen, ob auch ihm dies
Werk des Hephaistos passe. Dann ist Odysseus gekommen, in
schlauer Rede seine Ansprüche geltend zu machen. Aufbrausend
hat Aias das Schwert gezogen, ohne sich auch nur Zeit zu nehmen,
den Panzer völlig anzulegen — das zeigt die offen stehende
Schulterklappe. Odysseus klug und bedächtig zieht erst das
Schwert, da er angegriffen ist 31).

Mit dieser schärferen Begrenzung der Situation hört natür-
lich auch die Möglichkeit auf, den ganzen Verlauf der Handlung
auf einmal darzustellen. Daher verfällt man darauf, die Sage in
mehreren, zunächst zwei oder drei Scenen zu erzählen; nament-
lich in der Gefäſsmalerei boten die beiden Seiten der Amphora
und des Kraters oder die beiden Auſsenseiten und die Innenseite
der Trinkschale die beste Gelegenheit zu einer pointierten Gegen-
überstellung zweier besonders wichtiger Momente der Handlung,
wie denn das Gegenbild der eben geschilderten Komposition des
Duris die Abstimmung der Achäer über Aias und Odysseus zu
Gunsten des letzteren darstellt.

Der Einfluſs des Dramas zeigt sich auch darin, daſs die
Nebenfiguren jetzt nicht nur mit gröſserer Sorgfalt ausgewählt und
wo möglich in enge, freundschaftliche oder verwandtschaftliche
Beziehung zu den Hauptfiguren gesetzt werden, sondern auch
nicht teilnahmlos und nur mit sich selbst beschäftigt dastehen,

31) Die richtige Deutung dieser gegenwärtig im Wiener Industriemuseum
befindlichen Durisvase (M. d. I. VIII T. XLI. Wiener Vorlegebl. Ser. VI
Taf. I s. die Abbildung unten in dem Excurs Ὅπλων κρίσις) hat zuerst
W. Klein auf der Innsbrucker Philologen-Versammlung ausgesprochen (Ver-
handl. d. XXIX. Philologen-Versammlung S. 154); auch Brunn war schon
vorher zu derselben Deutung gekommen (a. a. O. S. 151). Die im Text ge-
gebene Erklärung weicht in einigen Punkten von Klein ab. S. unten.
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[30/0044] zu ziehen. Agamemnon und die übrigen Achäer sind bemüht, die Streitenden zu trennen und Frieden zu stiften. Mit lebendigster Klarheit steht die ganze Situation, steht auch das ganze Werden derselben vor unsern Augen, mit wenigen meisterhaften Strichen ist der Charakter der Haupthelden gezeichnet. Aias, hastig zufahrend, hat sich gleich der Waffen des gefallenen Achilleus bemächtigt und den Panzer angelegt, um zu prüfen, ob auch ihm dies Werk des Hephaistos passe. Dann ist Odysseus gekommen, in schlauer Rede seine Ansprüche geltend zu machen. Aufbrausend hat Aias das Schwert gezogen, ohne sich auch nur Zeit zu nehmen, den Panzer völlig anzulegen — das zeigt die offen stehende Schulterklappe. Odysseus klug und bedächtig zieht erst das Schwert, da er angegriffen ist 31). Mit dieser schärferen Begrenzung der Situation hört natür- lich auch die Möglichkeit auf, den ganzen Verlauf der Handlung auf einmal darzustellen. Daher verfällt man darauf, die Sage in mehreren, zunächst zwei oder drei Scenen zu erzählen; nament- lich in der Gefäſsmalerei boten die beiden Seiten der Amphora und des Kraters oder die beiden Auſsenseiten und die Innenseite der Trinkschale die beste Gelegenheit zu einer pointierten Gegen- überstellung zweier besonders wichtiger Momente der Handlung, wie denn das Gegenbild der eben geschilderten Komposition des Duris die Abstimmung der Achäer über Aias und Odysseus zu Gunsten des letzteren darstellt. Der Einfluſs des Dramas zeigt sich auch darin, daſs die Nebenfiguren jetzt nicht nur mit gröſserer Sorgfalt ausgewählt und wo möglich in enge, freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehung zu den Hauptfiguren gesetzt werden, sondern auch nicht teilnahmlos und nur mit sich selbst beschäftigt dastehen, 31) Die richtige Deutung dieser gegenwärtig im Wiener Industriemuseum befindlichen Durisvase (M. d. I. VIII T. XLI. Wiener Vorlegebl. Ser. VI Taf. I s. die Abbildung unten in dem Excurs Ὅπλων κρίσις) hat zuerst W. Klein auf der Innsbrucker Philologen-Versammlung ausgesprochen (Ver- handl. d. XXIX. Philologen-Versammlung S. 154); auch Brunn war schon vorher zu derselben Deutung gekommen (a. a. O. S. 151). Die im Text ge- gebene Erklärung weicht in einigen Punkten von Klein ab. S. unten.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/44>, abgerufen am 29.03.2024.