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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Poesie ausgehenden Wirkung festgestellt sind, lässt sich bestimmen,
mit welcher Berechtigung und mit welcher Beschränkung die
Darstellungen auf antiken Monumenten zur Rekonstruktion unter-
gegangener Litteraturwerke, namentlich also der verlorenen Epen
und Dramen, benützt werden dürfen. Doch will mir scheinen,
dass die Klarstellung des Verhältnisses zwischen Kunst und
Poesie, auch wenn sich die Betrachtung zunächst nur auf ein
Volk beschränkt, über den engeren Kreis der Fachgenossen hinaus
ein allgemeines Interesse beanspruchen darf, zumal in unserer
Zeit der Illustrationen und illustrierten Ausgaben, und zumal wenn
sich herausstellen sollte, dass dies Verhältnis keineswegs immer
dasselbe, sondern in verschiedenen Perioden verschieden, mit
einem Worte einer bestimmten historischen Entwickelung unter-
worfen ist.

Obgleich wir bei unserer Betrachtung den Nachdruck auf
ganz andere Punkte legen werden, muss doch hier gleich der
unvergänglichen Gedanken Erwähnung geschehen, die Lessing in
seinem Laokoon niedergelegt hat. Die verschiedene Weise, in
welcher die Kunst und in welcher die Poesie denselben Gegen-
stand behandeln muss, ist von Lessing endgültig festgestellt. Durch
Vergleichung eines der effectvollsten Werke antiker Plastik mit
der glänzenden Behandlung desselben Mythos durch Vergil kommt
Lessing zur Feststellung der Grenzen zwischen Poesie und
Malerei. Seine Resultate haben dadurch nichts von ihrer Wahr-
heit eingebüsst, dass, wie wir seitdem gelernt haben, die antike
Kunst wiederholt gegen die von ihm erkannten Prinzipien ver-
stösst, ja sich ihrer schwerlich auch nur dunkel, geschweige
denn in der klaren Formulierung Lessing's, bewusst war.

Für Lessing wie für seine Zeit ist es stillschweigende Vor-
aussetzung, dass die Künstler des Laokoon nur mit der Sage
und ihren poetischen Behandlungen, nicht aber mit früheren bild-
lichen Darstellungen desselben Stoffes zu rechnen hatten. Die Frage
nach der Richtigkeit dieser Voraussetzung ist für Lessings Be-
weisführung, bei dem mehr die philosophische als die historische
Seite der Frage in Betracht kommt, ziemlich belanglos. Ob sie
für das gerade gewählte Beispiel des Laokoon zutrifft, will ich

Poesie ausgehenden Wirkung festgestellt sind, läſst sich bestimmen,
mit welcher Berechtigung und mit welcher Beschränkung die
Darstellungen auf antiken Monumenten zur Rekonstruktion unter-
gegangener Litteraturwerke, namentlich also der verlorenen Epen
und Dramen, benützt werden dürfen. Doch will mir scheinen,
dass die Klarstellung des Verhältnisses zwischen Kunst und
Poesie, auch wenn sich die Betrachtung zunächst nur auf ein
Volk beschränkt, über den engeren Kreis der Fachgenossen hinaus
ein allgemeines Interesse beanspruchen darf, zumal in unserer
Zeit der Illustrationen und illustrierten Ausgaben, und zumal wenn
sich herausstellen sollte, daſs dies Verhältnis keineswegs immer
dasselbe, sondern in verschiedenen Perioden verschieden, mit
einem Worte einer bestimmten historischen Entwickelung unter-
worfen ist.

Obgleich wir bei unserer Betrachtung den Nachdruck auf
ganz andere Punkte legen werden, muſs doch hier gleich der
unvergänglichen Gedanken Erwähnung geschehen, die Lessing in
seinem Laokoon niedergelegt hat. Die verschiedene Weise, in
welcher die Kunst und in welcher die Poesie denselben Gegen-
stand behandeln muſs, ist von Lessing endgültig festgestellt. Durch
Vergleichung eines der effectvollsten Werke antiker Plastik mit
der glänzenden Behandlung desselben Mythos durch Vergil kommt
Lessing zur Feststellung der Grenzen zwischen Poesie und
Malerei. Seine Resultate haben dadurch nichts von ihrer Wahr-
heit eingebüſst, daſs, wie wir seitdem gelernt haben, die antike
Kunst wiederholt gegen die von ihm erkannten Prinzipien ver-
stöſst, ja sich ihrer schwerlich auch nur dunkel, geschweige
denn in der klaren Formulierung Lessing’s, bewusst war.

Für Lessing wie für seine Zeit ist es stillschweigende Vor-
aussetzung, daſs die Künstler des Laokoon nur mit der Sage
und ihren poetischen Behandlungen, nicht aber mit früheren bild-
lichen Darstellungen desselben Stoffes zu rechnen hatten. Die Frage
nach der Richtigkeit dieser Voraussetzung ist für Lessings Be-
weisführung, bei dem mehr die philosophische als die historische
Seite der Frage in Betracht kommt, ziemlich belanglos. Ob sie
für das gerade gewählte Beispiel des Laokoon zutrifft, will ich

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[4/0018] Poesie ausgehenden Wirkung festgestellt sind, läſst sich bestimmen, mit welcher Berechtigung und mit welcher Beschränkung die Darstellungen auf antiken Monumenten zur Rekonstruktion unter- gegangener Litteraturwerke, namentlich also der verlorenen Epen und Dramen, benützt werden dürfen. Doch will mir scheinen, dass die Klarstellung des Verhältnisses zwischen Kunst und Poesie, auch wenn sich die Betrachtung zunächst nur auf ein Volk beschränkt, über den engeren Kreis der Fachgenossen hinaus ein allgemeines Interesse beanspruchen darf, zumal in unserer Zeit der Illustrationen und illustrierten Ausgaben, und zumal wenn sich herausstellen sollte, daſs dies Verhältnis keineswegs immer dasselbe, sondern in verschiedenen Perioden verschieden, mit einem Worte einer bestimmten historischen Entwickelung unter- worfen ist. Obgleich wir bei unserer Betrachtung den Nachdruck auf ganz andere Punkte legen werden, muſs doch hier gleich der unvergänglichen Gedanken Erwähnung geschehen, die Lessing in seinem Laokoon niedergelegt hat. Die verschiedene Weise, in welcher die Kunst und in welcher die Poesie denselben Gegen- stand behandeln muſs, ist von Lessing endgültig festgestellt. Durch Vergleichung eines der effectvollsten Werke antiker Plastik mit der glänzenden Behandlung desselben Mythos durch Vergil kommt Lessing zur Feststellung der Grenzen zwischen Poesie und Malerei. Seine Resultate haben dadurch nichts von ihrer Wahr- heit eingebüſst, daſs, wie wir seitdem gelernt haben, die antike Kunst wiederholt gegen die von ihm erkannten Prinzipien ver- stöſst, ja sich ihrer schwerlich auch nur dunkel, geschweige denn in der klaren Formulierung Lessing’s, bewusst war. Für Lessing wie für seine Zeit ist es stillschweigende Vor- aussetzung, daſs die Künstler des Laokoon nur mit der Sage und ihren poetischen Behandlungen, nicht aber mit früheren bild- lichen Darstellungen desselben Stoffes zu rechnen hatten. Die Frage nach der Richtigkeit dieser Voraussetzung ist für Lessings Be- weisführung, bei dem mehr die philosophische als die historische Seite der Frage in Betracht kommt, ziemlich belanglos. Ob sie für das gerade gewählte Beispiel des Laokoon zutrifft, will ich

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/18>, abgerufen am 29.03.2024.