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Riemann, Bernhard: Ueber die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen. In: Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 13 (1868), S. 133-150.

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ÜB. D. HYPOTHESEN, WELCHE DER GEOMETRIE ZU GRUNDE LIEGEN.
gedehnten Mannigfaltigkeit durch n veränderliche Grössen x1, x2, x3,
und so fort bis xn ausgedrückt, so wird die Bestimmung einer Linie
darauf hinauskommen, dass die Grössen x als Functionen einer Verän-
derlichen gegeben werden. Die Aufgabe ist dann, für die Länge der
Linien einen mathematischen Ausdruck aufzustellen, zu welchem Zwecke
die Grössen x als in Einheiten ausdrückbar betrachtet werden müssen.
Ich werde diese Aufgabe nur unter gewissen Beschränkungen behandeln
und beschränke mich erstlich auf solche Linien, in welchen die Ver-
hältnisse zwischen den Grössen dx -- den zusammengehörigen Aende-
rungen der Grössen x -- sich stetig ändern; man kann dann die Li-
nien in Elemente zerlegt denken, innerhalb deren die Verhältnisse der
Grössen dx als constant betrachtet werden dürfen, und die Aufgabe
kommt dann darauf zurück, für jeden Punkt einen allgemeinen Aus-
druck des von ihm ausgehenden Linienelements ds aufzustellen, welcher
also die Grössen x und die Grössen dx enthalten wird. Ich nehme nun
zweitens an, dass die Länge des Linienelements, von Grössen zweiter
Ordnung abgesehen, ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Punkte dessel-
ben dieselbe unendlich kleine Ortsänderung erleiden, worin zugleich
enthalten ist, dass, wenn sämmtliche Grössen dx in demselben Verhält-
nisse wachsen, das Linienelement sich ebenfalls in diesem Verhältnisse
ändert. Unter diesen Annahmen wird das Linienelement eine beliebige
homogene Function ersten Grades der Grössen dx sein können, welche
ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Grössen dx ihr Zeichen ändern, und
worin die willkührlichen Constanten stetige Functionen der Grössen x
sind. Um die einfachsten Fälle zu finden, suche ich zunächst einen
Ausdruck für die n--1fach ausgedehnten Mannigfaltigkeiten, welche vom
Anfangspunkte des Linienelements überall gleich weit abstehen, d. h.
ich suche eine stetige Function des Orts, welche sie von einander un-
terscheidet. Diese wird vom Anfangspunkt aus nach allen Seiten ent-
weder ab- oder zunehmen müssen; ich will annehmen, dass sie nach
allen Seiten zunimmt und also in dem Punkte ein Minimum hat. Es
muss dann, wenn ihre ersten und zweiten Differentialquotienten endlich
sind, das Differential erster Ordnung verschwinden und das zweiter Ord-

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ÜB. D. HYPOTHESEN, WELCHE DER GEOMETRIE ZU GRUNDE LIEGEN.
gedehnten Mannigfaltigkeit durch n veränderliche Grössen x1, x2, x3,
und so fort bis xn ausgedrückt, so wird die Bestimmung einer Linie
darauf hinauskommen, dass die Grössen x als Functionen einer Verän-
derlichen gegeben werden. Die Aufgabe ist dann, für die Länge der
Linien einen mathematischen Ausdruck aufzustellen, zu welchem Zwecke
die Grössen x als in Einheiten ausdrückbar betrachtet werden müssen.
Ich werde diese Aufgabe nur unter gewissen Beschränkungen behandeln
und beschränke mich erstlich auf solche Linien, in welchen die Ver-
hältnisse zwischen den Grössen dx — den zusammengehörigen Aende-
rungen der Grössen x — sich stetig ändern; man kann dann die Li-
nien in Elemente zerlegt denken, innerhalb deren die Verhältnisse der
Grössen dx als constant betrachtet werden dürfen, und die Aufgabe
kommt dann darauf zurück, für jeden Punkt einen allgemeinen Aus-
druck des von ihm ausgehenden Linienelements ds aufzustellen, welcher
also die Grössen x und die Grössen dx enthalten wird. Ich nehme nun
zweitens an, dass die Länge des Linienelements, von Grössen zweiter
Ordnung abgesehen, ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Punkte dessel-
ben dieselbe unendlich kleine Ortsänderung erleiden, worin zugleich
enthalten ist, dass, wenn sämmtliche Grössen dx in demselben Verhält-
nisse wachsen, das Linienelement sich ebenfalls in diesem Verhältnisse
ändert. Unter diesen Annahmen wird das Linienelement eine beliebige
homogene Function ersten Grades der Grössen dx sein können, welche
ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Grössen dx ihr Zeichen ändern, und
worin die willkührlichen Constanten stetige Functionen der Grössen x
sind. Um die einfachsten Fälle zu finden, suche ich zunächst einen
Ausdruck für die n̅—̅1̅fach ausgedehnten Mannigfaltigkeiten, welche vom
Anfangspunkte des Linienelements überall gleich weit abstehen, d. h.
ich suche eine stetige Function des Orts, welche sie von einander un-
terscheidet. Diese wird vom Anfangspunkt aus nach allen Seiten ent-
weder ab- oder zunehmen müssen; ich will annehmen, dass sie nach
allen Seiten zunimmt und also in dem Punkte ein Minimum hat. Es
muss dann, wenn ihre ersten und zweiten Differentialquotienten endlich
sind, das Differential erster Ordnung verschwinden und das zweiter Ord-

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[139/0014] ÜB. D. HYPOTHESEN, WELCHE DER GEOMETRIE ZU GRUNDE LIEGEN. gedehnten Mannigfaltigkeit durch n veränderliche Grössen x1, x2, x3, und so fort bis xn ausgedrückt, so wird die Bestimmung einer Linie darauf hinauskommen, dass die Grössen x als Functionen einer Verän- derlichen gegeben werden. Die Aufgabe ist dann, für die Länge der Linien einen mathematischen Ausdruck aufzustellen, zu welchem Zwecke die Grössen x als in Einheiten ausdrückbar betrachtet werden müssen. Ich werde diese Aufgabe nur unter gewissen Beschränkungen behandeln und beschränke mich erstlich auf solche Linien, in welchen die Ver- hältnisse zwischen den Grössen dx — den zusammengehörigen Aende- rungen der Grössen x — sich stetig ändern; man kann dann die Li- nien in Elemente zerlegt denken, innerhalb deren die Verhältnisse der Grössen dx als constant betrachtet werden dürfen, und die Aufgabe kommt dann darauf zurück, für jeden Punkt einen allgemeinen Aus- druck des von ihm ausgehenden Linienelements ds aufzustellen, welcher also die Grössen x und die Grössen dx enthalten wird. Ich nehme nun zweitens an, dass die Länge des Linienelements, von Grössen zweiter Ordnung abgesehen, ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Punkte dessel- ben dieselbe unendlich kleine Ortsänderung erleiden, worin zugleich enthalten ist, dass, wenn sämmtliche Grössen dx in demselben Verhält- nisse wachsen, das Linienelement sich ebenfalls in diesem Verhältnisse ändert. Unter diesen Annahmen wird das Linienelement eine beliebige homogene Function ersten Grades der Grössen dx sein können, welche ungeändert bleibt, wenn sämmtliche Grössen dx ihr Zeichen ändern, und worin die willkührlichen Constanten stetige Functionen der Grössen x sind. Um die einfachsten Fälle zu finden, suche ich zunächst einen Ausdruck für die n̅—̅1̅fach ausgedehnten Mannigfaltigkeiten, welche vom Anfangspunkte des Linienelements überall gleich weit abstehen, d. h. ich suche eine stetige Function des Orts, welche sie von einander un- terscheidet. Diese wird vom Anfangspunkt aus nach allen Seiten ent- weder ab- oder zunehmen müssen; ich will annehmen, dass sie nach allen Seiten zunimmt und also in dem Punkte ein Minimum hat. Es muss dann, wenn ihre ersten und zweiten Differentialquotienten endlich sind, das Differential erster Ordnung verschwinden und das zweiter Ord- S 2

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Zitationshilfe: Riemann, Bernhard: Ueber die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen. In: Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 13 (1868), S. 133-150, hier S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riemann_hypothesen_1867/14>, abgerufen am 19.03.2024.