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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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ren fast alle mit Nestern von tausenderley Vögeln
bedeckt. Auch wilde Bäume befanden sich hier und
unter andern ein Kastanienbaum. Ein Bienen-
schwarm sumste um einen gegen Mittag liegenden
Felsen, der eine hinlängliche Oeffnung hatte, um
diese nützlichen Thierchen zu beherbergen.

Jn dieser anmuthigen Gegend brachte Victorin
den Tag zu, und hatte das Vergnügen einige wilde
Ziegen zu entdecken. Als die Tageshitze im höchsten
Grade stand, durchwandert' er sein neues Guth, um
zu sehen, ob es nicht vielleicht auch giftige Thiere
enthielte: Er fand wirklich zwey oder drey Schlan-
gen, die er tödtete. Hierauf flog er auf die Felsen,
welche die Höhle bedeckten, wo er eine zweyte Ebene
fand, die ihm wegen ihrer Kühle, und wegen des
schattichten Felsen ein sehr angenehmer Sommer-
aufenthalt zu seyn schien. Hier ließ er sich nieder,
untersuchte alles, und fand kein giftiges Gewürm,
sondern Turtel- und Holztauben. Hier rieselten fünf
bis sechs kleine Wasserquellen erzeugt, wie es schien
aus der Oeffnung eines alten Vulkans der ganz mit
Eis bedeckt war, welches kaum an der größten Hitze
schmolz, weil die Strahlen der Sonne bis dahin
nicht dringen konnten. Diese Oeffnung stellte daher
eine natürliche Eisgrube vor. Er kostete das Was-
ser und fand es herrlich. Dies sagt' er bey sich
selbst, soll mein Sommerpallast werden, hier soll
Christine die Lilien ihrer Wangen erhalten: die an-
dere Ebene, sey mein Aufenthalt im Winter, Früh-
ling und Herbst.

Nachdem



ren faſt alle mit Neſtern von tauſenderley Voͤgeln
bedeckt. Auch wilde Baͤume befanden ſich hier und
unter andern ein Kaſtanienbaum. Ein Bienen-
ſchwarm ſumſte um einen gegen Mittag liegenden
Felſen, der eine hinlaͤngliche Oeffnung hatte, um
dieſe nuͤtzlichen Thierchen zu beherbergen.

Jn dieſer anmuthigen Gegend brachte Victorin
den Tag zu, und hatte das Vergnuͤgen einige wilde
Ziegen zu entdecken. Als die Tageshitze im hoͤchſten
Grade ſtand, durchwandert’ er ſein neues Guth, um
zu ſehen, ob es nicht vielleicht auch giftige Thiere
enthielte: Er fand wirklich zwey oder drey Schlan-
gen, die er toͤdtete. Hierauf flog er auf die Felſen,
welche die Hoͤhle bedeckten, wo er eine zweyte Ebene
fand, die ihm wegen ihrer Kuͤhle, und wegen des
ſchattichten Felſen ein ſehr angenehmer Sommer-
aufenthalt zu ſeyn ſchien. Hier ließ er ſich nieder,
unterſuchte alles, und fand kein giftiges Gewuͤrm,
ſondern Turtel- und Holztauben. Hier rieſelten fuͤnf
bis ſechs kleine Waſſerquellen erzeugt, wie es ſchien
aus der Oeffnung eines alten Vulkans der ganz mit
Eis bedeckt war, welches kaum an der groͤßten Hitze
ſchmolz, weil die Strahlen der Sonne bis dahin
nicht dringen konnten. Dieſe Oeffnung ſtellte daher
eine natuͤrliche Eisgrube vor. Er koſtete das Waſ-
ſer und fand es herrlich. Dies ſagt’ er bey ſich
ſelbſt, ſoll mein Sommerpallaſt werden, hier ſoll
Chriſtine die Lilien ihrer Wangen erhalten: die an-
dere Ebene, ſey mein Aufenthalt im Winter, Fruͤh-
ling und Herbſt.

Nachdem
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[32/0040] ren faſt alle mit Neſtern von tauſenderley Voͤgeln bedeckt. Auch wilde Baͤume befanden ſich hier und unter andern ein Kaſtanienbaum. Ein Bienen- ſchwarm ſumſte um einen gegen Mittag liegenden Felſen, der eine hinlaͤngliche Oeffnung hatte, um dieſe nuͤtzlichen Thierchen zu beherbergen. Jn dieſer anmuthigen Gegend brachte Victorin den Tag zu, und hatte das Vergnuͤgen einige wilde Ziegen zu entdecken. Als die Tageshitze im hoͤchſten Grade ſtand, durchwandert’ er ſein neues Guth, um zu ſehen, ob es nicht vielleicht auch giftige Thiere enthielte: Er fand wirklich zwey oder drey Schlan- gen, die er toͤdtete. Hierauf flog er auf die Felſen, welche die Hoͤhle bedeckten, wo er eine zweyte Ebene fand, die ihm wegen ihrer Kuͤhle, und wegen des ſchattichten Felſen ein ſehr angenehmer Sommer- aufenthalt zu ſeyn ſchien. Hier ließ er ſich nieder, unterſuchte alles, und fand kein giftiges Gewuͤrm, ſondern Turtel- und Holztauben. Hier rieſelten fuͤnf bis ſechs kleine Waſſerquellen erzeugt, wie es ſchien aus der Oeffnung eines alten Vulkans der ganz mit Eis bedeckt war, welches kaum an der groͤßten Hitze ſchmolz, weil die Strahlen der Sonne bis dahin nicht dringen konnten. Dieſe Oeffnung ſtellte daher eine natuͤrliche Eisgrube vor. Er koſtete das Waſ- ſer und fand es herrlich. Dies ſagt’ er bey ſich ſelbſt, ſoll mein Sommerpallaſt werden, hier ſoll Chriſtine die Lilien ihrer Wangen erhalten: die an- dere Ebene, ſey mein Aufenthalt im Winter, Fruͤh- ling und Herbſt. Nachdem

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/40>, abgerufen am 19.04.2024.