Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



bin, und daß dies die Ursach meiner Armuth und
Hanreyschaft ist.

Der Südmann schüttelte den Kopf, und fragte,
warum man mir den Fluch gegeben habe? Jch er-
zählt' ihm meine ganze Geschichte, so wie man sie in
gewissen Briefen antrifft, die aber erst nach meinem
Tode bekannt gemacht werden sollen. Noch immer
schüttelt' er den Kopf; doch antwortete er nichts auf
meine Erzählung.

Wir nahten uns der Hauptstadt. Da unser
Gespräch sehr einseitig gewesen war, so wollten wir,
des Anstands wegen, beym Auseinanderscheiden un-
sern Reisegefehrten keine üble Meynung von uns
beybringen; machten ihnen daher viel Komplimente
und Lobeserhebungen, und erhielten sie gleichmäßig
von allen, die nichtswürdige Schauspielerinn aus-
genommen, die den Weihrauch zwar einnahm, aber
niemanden opferte, alles zu verdienen, aber nichts
schuldig zu seyn glaubte. Endlich langten wir an.

Der Benediktiner erhob sich zuerst um abzustei-
gen; er schüttelte sein Kleid ab, und machte uns alle,
den Kaufmann ausgenommen, sechsmal niesen. Wir
trennten mit einer solchen Gleichgültigkeit, als hätten
wir uns nie gesehen. Die Schauspieler und Schau-
spielerinnen nahmen ihre Wohnung im Carrussel;
der Benediktiner zu Saintgermain-des-pres;
der Advokat in der Straße de-la-Calendre; der
Kaufmann in der Straße des-Bourdonnais.
Die Hunde, Pappogeyen, der Angala folgten wahr-
scheinlich ihren Gebieterinnen. Jch, meines Theils

nahm



bin, und daß dies die Urſach meiner Armuth und
Hanreyſchaft iſt.

Der Suͤdmann ſchuͤttelte den Kopf, und fragte,
warum man mir den Fluch gegeben habe? Jch er-
zaͤhlt’ ihm meine ganze Geſchichte, ſo wie man ſie in
gewiſſen Briefen antrifft, die aber erſt nach meinem
Tode bekannt gemacht werden ſollen. Noch immer
ſchuͤttelt’ er den Kopf; doch antwortete er nichts auf
meine Erzaͤhlung.

Wir nahten uns der Hauptſtadt. Da unſer
Geſpraͤch ſehr einſeitig geweſen war, ſo wollten wir,
des Anſtands wegen, beym Auseinanderſcheiden un-
ſern Reiſegefehrten keine uͤble Meynung von uns
beybringen; machten ihnen daher viel Komplimente
und Lobeserhebungen, und erhielten ſie gleichmaͤßig
von allen, die nichtswuͤrdige Schauſpielerinn aus-
genommen, die den Weihrauch zwar einnahm, aber
niemanden opferte, alles zu verdienen, aber nichts
ſchuldig zu ſeyn glaubte. Endlich langten wir an.

Der Benediktiner erhob ſich zuerſt um abzuſtei-
gen; er ſchuͤttelte ſein Kleid ab, und machte uns alle,
den Kaufmann ausgenommen, ſechsmal nieſen. Wir
trennten mit einer ſolchen Gleichguͤltigkeit, als haͤtten
wir uns nie geſehen. Die Schauſpieler und Schau-
ſpielerinnen nahmen ihre Wohnung im Carruſſel;
der Benediktiner zu Saintgermain-des-pres;
der Advokat in der Straße de-la-Calendre; der
Kaufmann in der Straße des-Bourdonnais.
Die Hunde, Pappogeyen, der Angala folgten wahr-
ſcheinlich ihren Gebieterinnen. Jch, meines Theils

nahm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="6"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bin, und daß dies die Ur&#x017F;ach meiner Armuth und<lb/>
Hanrey&#x017F;chaft i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Der Su&#x0364;dmann &#x017F;chu&#x0364;ttelte den Kopf, und fragte,<lb/>
warum man mir den Fluch gegeben habe? Jch er-<lb/>
za&#x0364;hlt&#x2019; ihm meine ganze Ge&#x017F;chichte, &#x017F;o wie man &#x017F;ie in<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Briefen antrifft, die aber er&#x017F;t nach meinem<lb/>
Tode bekannt gemacht werden &#x017F;ollen. Noch immer<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttelt&#x2019; er den Kopf; doch antwortete er nichts auf<lb/>
meine Erza&#x0364;hlung.</p><lb/>
        <p>Wir nahten uns der Haupt&#x017F;tadt. Da un&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;ch &#x017F;ehr ein&#x017F;eitig gewe&#x017F;en war, &#x017F;o wollten wir,<lb/>
des An&#x017F;tands wegen, beym Auseinander&#x017F;cheiden un-<lb/>
&#x017F;ern Rei&#x017F;egefehrten keine u&#x0364;ble Meynung von uns<lb/>
beybringen; machten ihnen daher viel Komplimente<lb/>
und Lobeserhebungen, und erhielten &#x017F;ie gleichma&#x0364;ßig<lb/>
von allen, die nichtswu&#x0364;rdige Schau&#x017F;pielerinn aus-<lb/>
genommen, die den Weihrauch zwar einnahm, aber<lb/>
niemanden opferte, alles zu verdienen, aber nichts<lb/>
&#x017F;chuldig zu &#x017F;eyn glaubte. Endlich langten wir an.</p><lb/>
        <p>Der Benediktiner erhob &#x017F;ich zuer&#x017F;t um abzu&#x017F;tei-<lb/>
gen; er &#x017F;chu&#x0364;ttelte &#x017F;ein Kleid ab, und machte uns alle,<lb/>
den Kaufmann ausgenommen, &#x017F;echsmal nie&#x017F;en. Wir<lb/>
trennten mit einer &#x017F;olchen Gleichgu&#x0364;ltigkeit, als ha&#x0364;tten<lb/>
wir uns nie ge&#x017F;ehen. Die Schau&#x017F;pieler und Schau-<lb/>
&#x017F;pielerinnen nahmen ihre Wohnung im <hi rendition="#fr">Carru&#x017F;&#x017F;el;</hi><lb/>
der Benediktiner zu <hi rendition="#fr">Saintgermain-des-pres;</hi><lb/>
der Advokat in der Straße <hi rendition="#fr">de-la-Calendre;</hi> der<lb/>
Kaufmann in der Straße <hi rendition="#fr">des-Bourdonnais.</hi><lb/>
Die Hunde, Pappogeyen, der Angala folgten wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich ihren Gebieterinnen. Jch, meines Theils<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nahm</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0014] bin, und daß dies die Urſach meiner Armuth und Hanreyſchaft iſt. Der Suͤdmann ſchuͤttelte den Kopf, und fragte, warum man mir den Fluch gegeben habe? Jch er- zaͤhlt’ ihm meine ganze Geſchichte, ſo wie man ſie in gewiſſen Briefen antrifft, die aber erſt nach meinem Tode bekannt gemacht werden ſollen. Noch immer ſchuͤttelt’ er den Kopf; doch antwortete er nichts auf meine Erzaͤhlung. Wir nahten uns der Hauptſtadt. Da unſer Geſpraͤch ſehr einſeitig geweſen war, ſo wollten wir, des Anſtands wegen, beym Auseinanderſcheiden un- ſern Reiſegefehrten keine uͤble Meynung von uns beybringen; machten ihnen daher viel Komplimente und Lobeserhebungen, und erhielten ſie gleichmaͤßig von allen, die nichtswuͤrdige Schauſpielerinn aus- genommen, die den Weihrauch zwar einnahm, aber niemanden opferte, alles zu verdienen, aber nichts ſchuldig zu ſeyn glaubte. Endlich langten wir an. Der Benediktiner erhob ſich zuerſt um abzuſtei- gen; er ſchuͤttelte ſein Kleid ab, und machte uns alle, den Kaufmann ausgenommen, ſechsmal nieſen. Wir trennten mit einer ſolchen Gleichguͤltigkeit, als haͤtten wir uns nie geſehen. Die Schauſpieler und Schau- ſpielerinnen nahmen ihre Wohnung im Carruſſel; der Benediktiner zu Saintgermain-des-pres; der Advokat in der Straße de-la-Calendre; der Kaufmann in der Straße des-Bourdonnais. Die Hunde, Pappogeyen, der Angala folgten wahr- ſcheinlich ihren Gebieterinnen. Jch, meines Theils nahm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/14
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/14>, abgerufen am 20.04.2024.