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Rennenkampff, Gustav Reinhold Georg von: Ueber die bevorstehende Freiheit der Ehsten und Letten. Dorpat, 1820.

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bessern suchen könne. Schon zu der Zeit, als dieses Land noch unter polnischer Herrschaft stand, also ehe es zu Schweden gehörte, wollte man die Leibeigenschaft aufheben; allein es war unmöglich; denn sowohl die Letten als Ehsten waren noch zu unwissend und sorglos, um als ein freies Volk, das für sich selbst sorgt, sich selbst überlassen werden zu können. Dieses geschahe vor beinahe drittehalb hundert Jahren; und so oft auch seit der Zeit manche gute Herren den Vorschlag einer allgemeinen Freilassung auf den Landtägen machten, so konnte er doch wegen derselben Ursachen immer nicht ausgeführt werden.

Manche Herren ließen einzelne ihrer Leute mit ihren Familien frei; allein wie selten hatten sie die Freude, diese Leute, die sie zum Versuch einzeln freigelassen hatten, als arbeitsame gute Menschen nach mehreren Jahren wieder zu sehen; fast immer fanden sie sie verarmt, lüderlich, und häufig nur vom Betruge ihrer ehemaligen Mitbrüder, der Bauern, lebend. Wie hätten die Herren vor Gott und ihrem Gewissen es verantworten können, wenn sie allen ihren Bauern

bessern suchen könne. Schon zu der Zeit, als dieses Land noch unter polnischer Herrschaft stand, also ehe es zu Schweden gehörte, wollte man die Leibeigenschaft aufheben; allein es war unmöglich; denn sowohl die Letten als Ehsten waren noch zu unwissend und sorglos, um als ein freies Volk, das für sich selbst sorgt, sich selbst überlassen werden zu können. Dieses geschahe vor beinahe drittehalb hundert Jahren; und so oft auch seit der Zeit manche gute Herren den Vorschlag einer allgemeinen Freilassung auf den Landtägen machten, so konnte er doch wegen derselben Ursachen immer nicht ausgeführt werden.

Manche Herren ließen einzelne ihrer Leute mit ihren Familien frei; allein wie selten hatten sie die Freude, diese Leute, die sie zum Versuch einzeln freigelassen hatten, als arbeitsame gute Menschen nach mehreren Jahren wieder zu sehen; fast immer fanden sie sie verarmt, lüderlich, und häufig nur vom Betruge ihrer ehemaligen Mitbrüder, der Bauern, lebend. Wie hätten die Herren vor Gott und ihrem Gewissen es verantworten können, wenn sie allen ihren Bauern

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[5/0005] bessern suchen könne. Schon zu der Zeit, als dieses Land noch unter polnischer Herrschaft stand, also ehe es zu Schweden gehörte, wollte man die Leibeigenschaft aufheben; allein es war unmöglich; denn sowohl die Letten als Ehsten waren noch zu unwissend und sorglos, um als ein freies Volk, das für sich selbst sorgt, sich selbst überlassen werden zu können. Dieses geschahe vor beinahe drittehalb hundert Jahren; und so oft auch seit der Zeit manche gute Herren den Vorschlag einer allgemeinen Freilassung auf den Landtägen machten, so konnte er doch wegen derselben Ursachen immer nicht ausgeführt werden. Manche Herren ließen einzelne ihrer Leute mit ihren Familien frei; allein wie selten hatten sie die Freude, diese Leute, die sie zum Versuch einzeln freigelassen hatten, als arbeitsame gute Menschen nach mehreren Jahren wieder zu sehen; fast immer fanden sie sie verarmt, lüderlich, und häufig nur vom Betruge ihrer ehemaligen Mitbrüder, der Bauern, lebend. Wie hätten die Herren vor Gott und ihrem Gewissen es verantworten können, wenn sie allen ihren Bauern

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Zitationshilfe: Rennenkampff, Gustav Reinhold Georg von: Ueber die bevorstehende Freiheit der Ehsten und Letten. Dorpat, 1820, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rennenkampff_freiheit_1820/5>, abgerufen am 20.04.2024.