Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

lich sind. Ihr ist in dem Gebiete derselben bloss
ein Aufenthaltsort (domicilium) zugestan-
den, dessen Umfang nicht absolut begrenzt ist,
sondern nach den Fortschritten der Kunst sich
verändert, verengert, erweitert. Das nemliche
Ding ist ein Nahrungsmittel, wenn es den
Verlust an Substanz in einem gesunden Körper er-
setzt; eine Arzney, wenn es die verlohrne Ge-
sundheit wieder herstellt; und ein Gift, wenn
es dieselbe zerstört. Dabey bleibt es, an sich,
immer das nemliche Ding. Daher muss jeder
Versuch verunglücken, durch die Diätetik,
Arzneimittellehre, Toxikologie
u. s. w.
bestimmte Scheidungslinien in dem Naturreich zu
ziehen, und es gleichsam in besondere Provinzen
abzutheilen.

Den Begriff eines Heilmittels müssen wir
also auf seinem letzten Zwecke gründen.
Allein ordnen können wir die Heilmittel nicht
nach ihren Unterzwecken, weil das nemliche
Ding zu verschiedenen Zwecken brauchbar ist,
und daher keinen steten Platz im System finden
würde. Deswegen ist die Eintheilung derselben
in Nahrungsmittel, Arzneien, Gifte,
Brechmittel, Wurmmittel
u. s. w. fehler-
haft, wenn wir uns einbilden, dadurch jedem
ärztlichen Instrument seinen eigenthümlichen Ort
im System angewiesen zu haben. Ein Einthei-
lungsgrund, der sich nicht sowohl auf ihre Zwe-
cke, sondern vielmehr auf ihre absoluten Kräfte

lich ſind. Ihr iſt in dem Gebiete derſelben bloſs
ein Aufenthaltsort (domicilium) zugeſtan-
den, deſſen Umfang nicht abſolut begrenzt iſt,
ſondern nach den Fortſchritten der Kunſt ſich
verändert, verengert, erweitert. Das nemliche
Ding iſt ein Nahrungsmittel, wenn es den
Verluſt an Subſtanz in einem geſunden Körper er-
ſetzt; eine Arzney, wenn es die verlohrne Ge-
ſundheit wieder herſtellt; und ein Gift, wenn
es dieſelbe zerſtört. Dabey bleibt es, an ſich,
immer das nemliche Ding. Daher muſs jeder
Verſuch verunglücken, durch die Diätetik,
Arzneimittellehre, Toxikologie
u. ſ. w.
beſtimmte Scheidungslinien in dem Naturreich zu
ziehen, und es gleichſam in beſondere Provinzen
abzutheilen.

Den Begriff eines Heilmittels müſſen wir
alſo auf ſeinem letzten Zwecke gründen.
Allein ordnen können wir die Heilmittel nicht
nach ihren Unterzwecken, weil das nemliche
Ding zu verſchiedenen Zwecken brauchbar iſt,
und daher keinen ſteten Platz im Syſtem finden
würde. Deswegen iſt die Eintheilung derſelben
in Nahrungsmittel, Arzneien, Gifte,
Brechmittel, Wurmmittel
u. ſ. w. fehler-
haft, wenn wir uns einbilden, dadurch jedem
ärztlichen Inſtrument ſeinen eigenthümlichen Ort
im Syſtem angewieſen zu haben. Ein Einthei-
lungsgrund, der ſich nicht ſowohl auf ihre Zwe-
cke, ſondern vielmehr auf ihre abſoluten Kräfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="24"/>
lich &#x017F;ind. Ihr i&#x017F;t in dem Gebiete der&#x017F;elben blo&#x017F;s<lb/>
ein <hi rendition="#g">Aufenthaltsort</hi> (domicilium) zuge&#x017F;tan-<lb/>
den, de&#x017F;&#x017F;en Umfang nicht ab&#x017F;olut begrenzt i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern nach den Fort&#x017F;chritten der Kun&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
verändert, verengert, erweitert. Das nemliche<lb/>
Ding i&#x017F;t ein <hi rendition="#g">Nahrungsmittel</hi>, wenn es den<lb/>
Verlu&#x017F;t an Sub&#x017F;tanz in einem ge&#x017F;unden Körper er-<lb/>
&#x017F;etzt; eine <hi rendition="#g">Arzney</hi>, wenn es die verlohrne Ge-<lb/>
&#x017F;undheit wieder her&#x017F;tellt; und ein <hi rendition="#g">Gift</hi>, wenn<lb/>
es die&#x017F;elbe zer&#x017F;tört. Dabey bleibt es, an &#x017F;ich,<lb/>
immer das nemliche Ding. Daher mu&#x017F;s jeder<lb/>
Ver&#x017F;uch verunglücken, durch die <hi rendition="#g">Diätetik,<lb/>
Arzneimittellehre, Toxikologie</hi> u. &#x017F;. w.<lb/>
be&#x017F;timmte Scheidungslinien in dem Naturreich zu<lb/>
ziehen, und es gleich&#x017F;am in be&#x017F;ondere Provinzen<lb/>
abzutheilen.</p><lb/>
          <p>Den <hi rendition="#g">Begriff</hi> eines Heilmittels mü&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
al&#x017F;o auf &#x017F;einem <hi rendition="#g">letzten Zwecke</hi> gründen.<lb/>
Allein ordnen können wir die Heilmittel nicht<lb/>
nach ihren Unterzwecken, weil das nemliche<lb/>
Ding zu ver&#x017F;chiedenen Zwecken brauchbar i&#x017F;t,<lb/>
und daher keinen &#x017F;teten Platz im Sy&#x017F;tem finden<lb/>
würde. Deswegen i&#x017F;t die Eintheilung der&#x017F;elben<lb/>
in <hi rendition="#g">Nahrungsmittel, Arzneien, Gifte,<lb/>
Brechmittel, Wurmmittel</hi> u. &#x017F;. w. fehler-<lb/>
haft, wenn wir uns einbilden, dadurch jedem<lb/>
ärztlichen In&#x017F;trument &#x017F;einen eigenthümlichen Ort<lb/>
im Sy&#x017F;tem angewie&#x017F;en zu haben. Ein Einthei-<lb/>
lungsgrund, der &#x017F;ich nicht &#x017F;owohl auf ihre Zwe-<lb/>
cke, &#x017F;ondern vielmehr auf ihre ab&#x017F;oluten Kräfte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0029] lich ſind. Ihr iſt in dem Gebiete derſelben bloſs ein Aufenthaltsort (domicilium) zugeſtan- den, deſſen Umfang nicht abſolut begrenzt iſt, ſondern nach den Fortſchritten der Kunſt ſich verändert, verengert, erweitert. Das nemliche Ding iſt ein Nahrungsmittel, wenn es den Verluſt an Subſtanz in einem geſunden Körper er- ſetzt; eine Arzney, wenn es die verlohrne Ge- ſundheit wieder herſtellt; und ein Gift, wenn es dieſelbe zerſtört. Dabey bleibt es, an ſich, immer das nemliche Ding. Daher muſs jeder Verſuch verunglücken, durch die Diätetik, Arzneimittellehre, Toxikologie u. ſ. w. beſtimmte Scheidungslinien in dem Naturreich zu ziehen, und es gleichſam in beſondere Provinzen abzutheilen. Den Begriff eines Heilmittels müſſen wir alſo auf ſeinem letzten Zwecke gründen. Allein ordnen können wir die Heilmittel nicht nach ihren Unterzwecken, weil das nemliche Ding zu verſchiedenen Zwecken brauchbar iſt, und daher keinen ſteten Platz im Syſtem finden würde. Deswegen iſt die Eintheilung derſelben in Nahrungsmittel, Arzneien, Gifte, Brechmittel, Wurmmittel u. ſ. w. fehler- haft, wenn wir uns einbilden, dadurch jedem ärztlichen Inſtrument ſeinen eigenthümlichen Ort im Syſtem angewieſen zu haben. Ein Einthei- lungsgrund, der ſich nicht ſowohl auf ihre Zwe- cke, ſondern vielmehr auf ihre abſoluten Kräfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/29
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/29>, abgerufen am 28.03.2024.