Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

haben! Sie deutete auf die Kinder, welche auf Stroh umherlagen und schliefen.

Trude fiel auf einen Schemel zurück und suchte sich zu sammeln. Ein eigenes Schicksal hatte sie heimgeführt in dieser Nacht, welche gleichsam der Wendepunkt ihres Lebens werden sollte -- sie hatte auf strengen Befehl Sommer's von ihrer Familie keine Notiz mehr genommen, er wollte keine Bettelgevatterschaft dulden -- auch war sie in ihrer Kindheit von der Mutter so arg behandelt worden, daß sie kein Gefühl für sie hatte und, wenn sie einmal zu ihr kam oder schickte, sie mit einer geringen Gabe und der dringenden Aufforderung, ja nicht wieder zu kommen, er wolle es durchaus nicht, abfertigte und fremd that. Jetzt fühlte sie Erbarmen mit dem elenden Weibe, das ihr Mann mit so vielen Kindern allein zurückgelassen hatte und -- da er nicht ehelich mit ihr verbunden -- in die Welt gegangen war. Sie bereute im Angesichte dieses Elends ihre Härte, und ihr tiefaufgeregtes Gemüth machte sich in Strömen von Thränen Luft.

Hast du nun gar eins unter dem Herzen? sagte die Mutter fast gleichgültig, zu entkräftet zum auffahrenden Zorne. Nein! rief Trude entrüstet, ich bin ein braves Mädchen, und Ihr sollt das von heute erfahren -- mag er noch so sehr wüthen, kommt nur, ich werde Euch schon geben! -- Hast du denn was zum Geben? bist du nicht selbst ausgejagt? -- Nein! -- ich weiß nicht, was diese Nacht mit mir vorgegangen ist -- Mutter, der Herrgott muß mich selber zu Euch hergeführt und

haben! Sie deutete auf die Kinder, welche auf Stroh umherlagen und schliefen.

Trude fiel auf einen Schemel zurück und suchte sich zu sammeln. Ein eigenes Schicksal hatte sie heimgeführt in dieser Nacht, welche gleichsam der Wendepunkt ihres Lebens werden sollte — sie hatte auf strengen Befehl Sommer's von ihrer Familie keine Notiz mehr genommen, er wollte keine Bettelgevatterschaft dulden — auch war sie in ihrer Kindheit von der Mutter so arg behandelt worden, daß sie kein Gefühl für sie hatte und, wenn sie einmal zu ihr kam oder schickte, sie mit einer geringen Gabe und der dringenden Aufforderung, ja nicht wieder zu kommen, er wolle es durchaus nicht, abfertigte und fremd that. Jetzt fühlte sie Erbarmen mit dem elenden Weibe, das ihr Mann mit so vielen Kindern allein zurückgelassen hatte und — da er nicht ehelich mit ihr verbunden — in die Welt gegangen war. Sie bereute im Angesichte dieses Elends ihre Härte, und ihr tiefaufgeregtes Gemüth machte sich in Strömen von Thränen Luft.

Hast du nun gar eins unter dem Herzen? sagte die Mutter fast gleichgültig, zu entkräftet zum auffahrenden Zorne. Nein! rief Trude entrüstet, ich bin ein braves Mädchen, und Ihr sollt das von heute erfahren — mag er noch so sehr wüthen, kommt nur, ich werde Euch schon geben! — Hast du denn was zum Geben? bist du nicht selbst ausgejagt? — Nein! — ich weiß nicht, was diese Nacht mit mir vorgegangen ist — Mutter, der Herrgott muß mich selber zu Euch hergeführt und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <p><pb facs="#f0032"/>
haben!      Sie deutete auf die Kinder, welche auf Stroh umherlagen und schliefen.</p><lb/>
        <p>Trude fiel auf einen Schemel zurück und suchte sich zu sammeln. Ein eigenes Schicksal hatte      sie heimgeführt in dieser Nacht, welche gleichsam der Wendepunkt ihres Lebens werden sollte &#x2014;      sie hatte auf strengen Befehl Sommer's von ihrer Familie keine Notiz mehr genommen, er wollte      keine Bettelgevatterschaft dulden &#x2014; auch war sie in ihrer Kindheit von der Mutter so arg      behandelt worden, daß sie kein Gefühl für sie hatte und, wenn sie einmal zu ihr kam oder      schickte, sie mit einer geringen Gabe und der dringenden Aufforderung, ja nicht wieder zu      kommen, er wolle es durchaus nicht, abfertigte und fremd that. Jetzt fühlte sie Erbarmen mit      dem elenden Weibe, das ihr Mann mit so vielen Kindern allein zurückgelassen hatte und &#x2014; da er      nicht ehelich mit ihr verbunden &#x2014; in die Welt gegangen war. Sie bereute im Angesichte dieses      Elends ihre Härte, und ihr tiefaufgeregtes Gemüth machte sich in Strömen von Thränen Luft.</p><lb/>
        <p>Hast du nun gar eins unter dem Herzen? sagte die Mutter fast gleichgültig, zu entkräftet zum      auffahrenden Zorne. Nein! rief Trude entrüstet, ich bin ein braves Mädchen, und Ihr sollt das      von heute erfahren &#x2014; mag er noch so sehr wüthen, kommt nur, ich werde Euch schon geben! &#x2014; Hast      du denn was zum Geben? bist du nicht selbst ausgejagt? &#x2014; Nein! &#x2014; ich weiß nicht, was diese      Nacht mit mir vorgegangen ist &#x2014; Mutter, der Herrgott muß mich selber zu Euch hergeführt und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] haben! Sie deutete auf die Kinder, welche auf Stroh umherlagen und schliefen. Trude fiel auf einen Schemel zurück und suchte sich zu sammeln. Ein eigenes Schicksal hatte sie heimgeführt in dieser Nacht, welche gleichsam der Wendepunkt ihres Lebens werden sollte — sie hatte auf strengen Befehl Sommer's von ihrer Familie keine Notiz mehr genommen, er wollte keine Bettelgevatterschaft dulden — auch war sie in ihrer Kindheit von der Mutter so arg behandelt worden, daß sie kein Gefühl für sie hatte und, wenn sie einmal zu ihr kam oder schickte, sie mit einer geringen Gabe und der dringenden Aufforderung, ja nicht wieder zu kommen, er wolle es durchaus nicht, abfertigte und fremd that. Jetzt fühlte sie Erbarmen mit dem elenden Weibe, das ihr Mann mit so vielen Kindern allein zurückgelassen hatte und — da er nicht ehelich mit ihr verbunden — in die Welt gegangen war. Sie bereute im Angesichte dieses Elends ihre Härte, und ihr tiefaufgeregtes Gemüth machte sich in Strömen von Thränen Luft. Hast du nun gar eins unter dem Herzen? sagte die Mutter fast gleichgültig, zu entkräftet zum auffahrenden Zorne. Nein! rief Trude entrüstet, ich bin ein braves Mädchen, und Ihr sollt das von heute erfahren — mag er noch so sehr wüthen, kommt nur, ich werde Euch schon geben! — Hast du denn was zum Geben? bist du nicht selbst ausgejagt? — Nein! — ich weiß nicht, was diese Nacht mit mir vorgegangen ist — Mutter, der Herrgott muß mich selber zu Euch hergeführt und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:03:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:03:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/32
Zitationshilfe: Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/32>, abgerufen am 19.04.2024.