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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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dem westlichen Portal schwebt in einem Marmorrelief der preussische
Adler mit dem Wahlspruch "Nec soli cedo", über dem nach dem
Sitzungssaal führenden Portal ruht ein mächtiger Löwe, die Reichs¬
insignien bewachend, hinter ihm Fahnentrophäen und die Schilde
der drei ersten Hohenzollernkaiser. Wie eine zu Stein gewordene
Symphonie muthen die vier Figurengruppen an, welche oberhalb der
Nischen vor die Gewölbezwickel gesetzt sind. Die vier Herrscher¬
tugenden, die Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Friedensliebe,
sind hierin symbolisirt. Vor dem vier Mal widerkehrenden Zierschild
mit dem bedeutungsvollen W sitzen je zwei allegorische Gestalten,
in denen das Thema des Schmuckstücks zu überzeugendem Ausdruck
kommt. Diese Gruppen mit dem phantasievoll ausgebildeten Ornament¬
werk klingen zu einer machtvollen, ehrfurchterweckenden Einheit
zusammen. Die Architektur der Wandelhalle ist, wie schon erwähnt,
nicht in Stein hergestellt, sondern in Marmorputz, einer dauerhaften
steinharten Mischung aus englischem weissen Cement, Marmormehl,
Magnesiterde etc. Dieser Inkrustatstein ist auf das Backsteinmauer¬
werk aufgetragen und geschliffen. Die Ornamente und ein Theil
der figürlichen Darstellungen sind aus demselben Material, meist in
Formen gegossen. Der Marmorstuck hat einen zarten ätherischen
Ton mit einer kühlen Nüance. Der Fussboden, mit verschieden¬
farbenen Marmorplatten belegt, ist von prächtigster Wirkung, der
Farbenakkord ist weiss, grau, schwarz, gelb und roth.

Im engen Zusammenhang mit der Wandelhalle stehen die an
der Westfront des Hauses gelegenen Erfrischungsräume, sowie der
Schreib- und Lesesaal der Abgeordneten. Hier ist eine Raumfolge
geschaffen, die in jedem Besucher einen unverlöschlichen Eindruck
hinterlässt. Der Ausstattung der Säle wohnt eine würdevolle Pracht
inne. In jeder Beziehung, in der architektonischen Gesammthaltung,
in den Täfelungen der Wände und Plafonds, in den Holzskulpturen,
den ornamentalen Malereien, in der Gestaltung und Stilisirung der
Beleuchtungskörper und Möbel etc. handelt es sich um Muster¬
leistungen deutschen Kunstschaffens, überall tritt die Eigenart Wallot's

dem westlichen Portal schwebt in einem Marmorrelief der preussische
Adler mit dem Wahlspruch „Nec soli cedo“, über dem nach dem
Sitzungssaal führenden Portal ruht ein mächtiger Löwe, die Reichs¬
insignien bewachend, hinter ihm Fahnentrophäen und die Schilde
der drei ersten Hohenzollernkaiser. Wie eine zu Stein gewordene
Symphonie muthen die vier Figurengruppen an, welche oberhalb der
Nischen vor die Gewölbezwickel gesetzt sind. Die vier Herrscher¬
tugenden, die Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Friedensliebe,
sind hierin symbolisirt. Vor dem vier Mal widerkehrenden Zierschild
mit dem bedeutungsvollen W sitzen je zwei allegorische Gestalten,
in denen das Thema des Schmuckstücks zu überzeugendem Ausdruck
kommt. Diese Gruppen mit dem phantasievoll ausgebildeten Ornament¬
werk klingen zu einer machtvollen, ehrfurchterweckenden Einheit
zusammen. Die Architektur der Wandelhalle ist, wie schon erwähnt,
nicht in Stein hergestellt, sondern in Marmorputz, einer dauerhaften
steinharten Mischung aus englischem weissen Cement, Marmormehl,
Magnesiterde etc. Dieser Inkrustatstein ist auf das Backsteinmauer¬
werk aufgetragen und geschliffen. Die Ornamente und ein Theil
der figürlichen Darstellungen sind aus demselben Material, meist in
Formen gegossen. Der Marmorstuck hat einen zarten ätherischen
Ton mit einer kühlen Nüance. Der Fussboden, mit verschieden¬
farbenen Marmorplatten belegt, ist von prächtigster Wirkung, der
Farbenakkord ist weiss, grau, schwarz, gelb und roth.

Im engen Zusammenhang mit der Wandelhalle stehen die an
der Westfront des Hauses gelegenen Erfrischungsräume, sowie der
Schreib- und Lesesaal der Abgeordneten. Hier ist eine Raumfolge
geschaffen, die in jedem Besucher einen unverlöschlichen Eindruck
hinterlässt. Der Ausstattung der Säle wohnt eine würdevolle Pracht
inne. In jeder Beziehung, in der architektonischen Gesammthaltung,
in den Täfelungen der Wände und Plafonds, in den Holzskulpturen,
den ornamentalen Malereien, in der Gestaltung und Stilisirung der
Beleuchtungskörper und Möbel etc. handelt es sich um Muster¬
leistungen deutschen Kunstschaffens, überall tritt die Eigenart Wallot's

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[37/0043] dem westlichen Portal schwebt in einem Marmorrelief der preussische Adler mit dem Wahlspruch „Nec soli cedo“, über dem nach dem Sitzungssaal führenden Portal ruht ein mächtiger Löwe, die Reichs¬ insignien bewachend, hinter ihm Fahnentrophäen und die Schilde der drei ersten Hohenzollernkaiser. Wie eine zu Stein gewordene Symphonie muthen die vier Figurengruppen an, welche oberhalb der Nischen vor die Gewölbezwickel gesetzt sind. Die vier Herrscher¬ tugenden, die Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Friedensliebe, sind hierin symbolisirt. Vor dem vier Mal widerkehrenden Zierschild mit dem bedeutungsvollen W sitzen je zwei allegorische Gestalten, in denen das Thema des Schmuckstücks zu überzeugendem Ausdruck kommt. Diese Gruppen mit dem phantasievoll ausgebildeten Ornament¬ werk klingen zu einer machtvollen, ehrfurchterweckenden Einheit zusammen. Die Architektur der Wandelhalle ist, wie schon erwähnt, nicht in Stein hergestellt, sondern in Marmorputz, einer dauerhaften steinharten Mischung aus englischem weissen Cement, Marmormehl, Magnesiterde etc. Dieser Inkrustatstein ist auf das Backsteinmauer¬ werk aufgetragen und geschliffen. Die Ornamente und ein Theil der figürlichen Darstellungen sind aus demselben Material, meist in Formen gegossen. Der Marmorstuck hat einen zarten ätherischen Ton mit einer kühlen Nüance. Der Fussboden, mit verschieden¬ farbenen Marmorplatten belegt, ist von prächtigster Wirkung, der Farbenakkord ist weiss, grau, schwarz, gelb und roth. Im engen Zusammenhang mit der Wandelhalle stehen die an der Westfront des Hauses gelegenen Erfrischungsräume, sowie der Schreib- und Lesesaal der Abgeordneten. Hier ist eine Raumfolge geschaffen, die in jedem Besucher einen unverlöschlichen Eindruck hinterlässt. Der Ausstattung der Säle wohnt eine würdevolle Pracht inne. In jeder Beziehung, in der architektonischen Gesammthaltung, in den Täfelungen der Wände und Plafonds, in den Holzskulpturen, den ornamentalen Malereien, in der Gestaltung und Stilisirung der Beleuchtungskörper und Möbel etc. handelt es sich um Muster¬ leistungen deutschen Kunstschaffens, überall tritt die Eigenart Wallot's

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/43>, abgerufen am 29.03.2024.