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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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und hinter dem Foyer den grossen Sitzungssaal auf. Die Er¬
frischungsräume, der Schreib- und Lesesaal sind an der Westfront
angeordnet und der Bundesrathssitzungssaal im südöstlichen Thurm.
Doch die Akademie des Bauwesens, welcher die Abgabe der Gut¬
achten oblag, sprach sich gegen die 10 m über dem Strassenniveau
emporgehobene Lage des Hauptgeschosses aus. Die durch die Tiefer¬
legung des Sitzungssaales bedingte zweite Umarbeitung des Entwurfs
vom Frühjahr 1883 reducirt das Sockelgeschoss auf 51/2 m. Das
Treppenhaus an der Westfront wird zu einer bis zum Foyer durch¬
gehenden oblongen Monumentalhalle ausgestaltet. In dieser Situation
kam das Bauprojekt vor den Reichstag am 9. Juni 1883. Es sprach
so überzeugend auf die Abgeordneten ein, dass die Bauausführung
Wallot sofort übertragen wurde, obwohl noch mehrere Bedenken
der Bauakademie Berücksichtigung erheischten. Die Akademie be¬
zweifelte die genügende Beleuchtung des Sitzungssaals, die Folge
davon war, dass die ursprüngliche Kuppel aus dem Programm beseitigt
wurde. Ferner wünschte man eine besondere geräumige Eingangs¬
halle für den kaiserlichen Hof. Das führte eine abermalige, diesmal
gänzlich veränderte Umgestaltung des Bauplans herbei. An der Ost¬
seite wurde ein beträchtlicher Raum für das kaiserliche Vestibül in
Anspruch genommen. Der grosse Sitzungssaal wurde infolge dessen
nach Westen vorgerückt und zwar über die Längsaxe hinaus. Da¬
durch wurde das bisherige Foyer unmöglich gemacht, nur die nörd¬
liche und südliche Eingangshalle blieben. Die ehemaligen vier Binnen¬
höfe wuchsen zu zwei zusammen. Das Foyer wurde nun endgültig
durch die gewaltige 96 m lange Wandelhalle ersetzt, die hinter den
Repräsentationsräumen an der Westfront eingelegt und sowohl mit
den beiden Haupttreppen als auch den Eingangshallen in Verbindung
gesetzt wurde. Was auf der einen Seite an akademischer Schönheit
in der Planbildung geopfert werden musste, wurde andererseits durch
die Schaffung eines in der deutschen Profanarchitektur einzigartigen
Innenraums ersetzt. Und über der mit einer Flachkuppel eingedeckten
Rotunde in der Mitte der Wandelhalle entwarf Wallot höherer

und hinter dem Foyer den grossen Sitzungssaal auf. Die Er¬
frischungsräume, der Schreib- und Lesesaal sind an der Westfront
angeordnet und der Bundesrathssitzungssaal im südöstlichen Thurm.
Doch die Akademie des Bauwesens, welcher die Abgabe der Gut¬
achten oblag, sprach sich gegen die 10 m über dem Strassenniveau
emporgehobene Lage des Hauptgeschosses aus. Die durch die Tiefer¬
legung des Sitzungssaales bedingte zweite Umarbeitung des Entwurfs
vom Frühjahr 1883 reducirt das Sockelgeschoss auf 5½ m. Das
Treppenhaus an der Westfront wird zu einer bis zum Foyer durch¬
gehenden oblongen Monumentalhalle ausgestaltet. In dieser Situation
kam das Bauprojekt vor den Reichstag am 9. Juni 1883. Es sprach
so überzeugend auf die Abgeordneten ein, dass die Bauausführung
Wallot sofort übertragen wurde, obwohl noch mehrere Bedenken
der Bauakademie Berücksichtigung erheischten. Die Akademie be¬
zweifelte die genügende Beleuchtung des Sitzungssaals, die Folge
davon war, dass die ursprüngliche Kuppel aus dem Programm beseitigt
wurde. Ferner wünschte man eine besondere geräumige Eingangs¬
halle für den kaiserlichen Hof. Das führte eine abermalige, diesmal
gänzlich veränderte Umgestaltung des Bauplans herbei. An der Ost¬
seite wurde ein beträchtlicher Raum für das kaiserliche Vestibül in
Anspruch genommen. Der grosse Sitzungssaal wurde infolge dessen
nach Westen vorgerückt und zwar über die Längsaxe hinaus. Da¬
durch wurde das bisherige Foyer unmöglich gemacht, nur die nörd¬
liche und südliche Eingangshalle blieben. Die ehemaligen vier Binnen¬
höfe wuchsen zu zwei zusammen. Das Foyer wurde nun endgültig
durch die gewaltige 96 m lange Wandelhalle ersetzt, die hinter den
Repräsentationsräumen an der Westfront eingelegt und sowohl mit
den beiden Haupttreppen als auch den Eingangshallen in Verbindung
gesetzt wurde. Was auf der einen Seite an akademischer Schönheit
in der Planbildung geopfert werden musste, wurde andererseits durch
die Schaffung eines in der deutschen Profanarchitektur einzigartigen
Innenraums ersetzt. Und über der mit einer Flachkuppel eingedeckten
Rotunde in der Mitte der Wandelhalle entwarf Wallot höherer

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[10/0016] und hinter dem Foyer den grossen Sitzungssaal auf. Die Er¬ frischungsräume, der Schreib- und Lesesaal sind an der Westfront angeordnet und der Bundesrathssitzungssaal im südöstlichen Thurm. Doch die Akademie des Bauwesens, welcher die Abgabe der Gut¬ achten oblag, sprach sich gegen die 10 m über dem Strassenniveau emporgehobene Lage des Hauptgeschosses aus. Die durch die Tiefer¬ legung des Sitzungssaales bedingte zweite Umarbeitung des Entwurfs vom Frühjahr 1883 reducirt das Sockelgeschoss auf 5½ m. Das Treppenhaus an der Westfront wird zu einer bis zum Foyer durch¬ gehenden oblongen Monumentalhalle ausgestaltet. In dieser Situation kam das Bauprojekt vor den Reichstag am 9. Juni 1883. Es sprach so überzeugend auf die Abgeordneten ein, dass die Bauausführung Wallot sofort übertragen wurde, obwohl noch mehrere Bedenken der Bauakademie Berücksichtigung erheischten. Die Akademie be¬ zweifelte die genügende Beleuchtung des Sitzungssaals, die Folge davon war, dass die ursprüngliche Kuppel aus dem Programm beseitigt wurde. Ferner wünschte man eine besondere geräumige Eingangs¬ halle für den kaiserlichen Hof. Das führte eine abermalige, diesmal gänzlich veränderte Umgestaltung des Bauplans herbei. An der Ost¬ seite wurde ein beträchtlicher Raum für das kaiserliche Vestibül in Anspruch genommen. Der grosse Sitzungssaal wurde infolge dessen nach Westen vorgerückt und zwar über die Längsaxe hinaus. Da¬ durch wurde das bisherige Foyer unmöglich gemacht, nur die nörd¬ liche und südliche Eingangshalle blieben. Die ehemaligen vier Binnen¬ höfe wuchsen zu zwei zusammen. Das Foyer wurde nun endgültig durch die gewaltige 96 m lange Wandelhalle ersetzt, die hinter den Repräsentationsräumen an der Westfront eingelegt und sowohl mit den beiden Haupttreppen als auch den Eingangshallen in Verbindung gesetzt wurde. Was auf der einen Seite an akademischer Schönheit in der Planbildung geopfert werden musste, wurde andererseits durch die Schaffung eines in der deutschen Profanarchitektur einzigartigen Innenraums ersetzt. Und über der mit einer Flachkuppel eingedeckten Rotunde in der Mitte der Wandelhalle entwarf Wallot höherer

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/16>, abgerufen am 20.04.2024.