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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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Frucht einer mühevollen, aber gottgesegneten Arbeit. Dann aber, als
den Enkeln die Erfüllung kam, brauste es wie ein welterschütternder
Frühlingssturm durch die deutschen Lande. Die Wucht der kriegerischen
Ereignisse riss alle Bedenken, Zweifel und Sondergelüste mit sich fort,
in einem gewaltigen Anlauf drängte der Volkswille zu dem höchsten
Ziel, zur Errichtung des Deutschen Reichs.

Jedesmal, wenn ein Volk einen Machtgipfel erstiegen, tritt sein
schönstes Können, das Phantasieschaffen, in die Aktion. Leicht ver¬
gänglich ist das Waffenglück, eine genaue Kunde von den Thaten der
Staatsmänner ist auf lange Zeiten in den Archiven vergraben. Der
Dichter und Künstler aber hat den Beruf, für die politischen Neu¬
bildungen die unvergänglichen Symbole zu formuliren, einen äusseren,
sichtbaren Ausdruck für die im Herzen des Volkes lebendige Be¬
geisterung, für den inneren, sittlichen Werth des Errungenen zu
finden. Die schöpferisch erregte Kraft einer grossen Zeit ersteigt
ihren Höhepunkt immer erst in den künstlerischen Thaten, die auf
die Kriegsstürme folgen.

So hat denn das Deutsche Reichstagshaus ausser seiner
praktischen auch die ideale Bestimmung, die Siege der deutschen
Waffen, die neugewonnene Reichseinheit für alle Zeiten in sich zu
verkörpern und den fernen Geschlechtern Kunde zu geben von dem
Geist, welcher die Reichsgründer beseelt hat. Der Grundstein des
Hauses, welcher am 9. Juni 1884 von Kaiser Wilhelm I. gelegt ist,
enthält die Urkunde mit den kennzeichnenden Worten:

"Unter den glorreichen Waffen-Erfolgen der vereinten Deutschen
Stämme ist durch Gottes Fügung das Deutsche Reich zu ungeahnter
Macht und Herrlichkeit erstanden. Aus der Begeisterung des Volkes
und aus dem gegenseitigen Vertrauen der Bundesregierungen ist für
Deutschland die Kraft erwachsen, seine Verfassung und seine nationale
Entwicklung aus eigner Macht zu schützen und die Pflege seiner
Wohlfahrt in die eigne Hand zu nehmen. Diesem Schutz und dieser
Wohlfahrt soll die Arbeit in dem Hause dienen, dessen Grundstein
Wir legen.

Frucht einer mühevollen, aber gottgesegneten Arbeit. Dann aber, als
den Enkeln die Erfüllung kam, brauste es wie ein welterschütternder
Frühlingssturm durch die deutschen Lande. Die Wucht der kriegerischen
Ereignisse riss alle Bedenken, Zweifel und Sondergelüste mit sich fort,
in einem gewaltigen Anlauf drängte der Volkswille zu dem höchsten
Ziel, zur Errichtung des Deutschen Reichs.

Jedesmal, wenn ein Volk einen Machtgipfel erstiegen, tritt sein
schönstes Können, das Phantasieschaffen, in die Aktion. Leicht ver¬
gänglich ist das Waffenglück, eine genaue Kunde von den Thaten der
Staatsmänner ist auf lange Zeiten in den Archiven vergraben. Der
Dichter und Künstler aber hat den Beruf, für die politischen Neu¬
bildungen die unvergänglichen Symbole zu formuliren, einen äusseren,
sichtbaren Ausdruck für die im Herzen des Volkes lebendige Be¬
geisterung, für den inneren, sittlichen Werth des Errungenen zu
finden. Die schöpferisch erregte Kraft einer grossen Zeit ersteigt
ihren Höhepunkt immer erst in den künstlerischen Thaten, die auf
die Kriegsstürme folgen.

So hat denn das Deutsche Reichstagshaus ausser seiner
praktischen auch die ideale Bestimmung, die Siege der deutschen
Waffen, die neugewonnene Reichseinheit für alle Zeiten in sich zu
verkörpern und den fernen Geschlechtern Kunde zu geben von dem
Geist, welcher die Reichsgründer beseelt hat. Der Grundstein des
Hauses, welcher am 9. Juni 1884 von Kaiser Wilhelm I. gelegt ist,
enthält die Urkunde mit den kennzeichnenden Worten:

„Unter den glorreichen Waffen-Erfolgen der vereinten Deutschen
Stämme ist durch Gottes Fügung das Deutsche Reich zu ungeahnter
Macht und Herrlichkeit erstanden. Aus der Begeisterung des Volkes
und aus dem gegenseitigen Vertrauen der Bundesregierungen ist für
Deutschland die Kraft erwachsen, seine Verfassung und seine nationale
Entwicklung aus eigner Macht zu schützen und die Pflege seiner
Wohlfahrt in die eigne Hand zu nehmen. Diesem Schutz und dieser
Wohlfahrt soll die Arbeit in dem Hause dienen, dessen Grundstein
Wir legen.

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[4/0010] Frucht einer mühevollen, aber gottgesegneten Arbeit. Dann aber, als den Enkeln die Erfüllung kam, brauste es wie ein welterschütternder Frühlingssturm durch die deutschen Lande. Die Wucht der kriegerischen Ereignisse riss alle Bedenken, Zweifel und Sondergelüste mit sich fort, in einem gewaltigen Anlauf drängte der Volkswille zu dem höchsten Ziel, zur Errichtung des Deutschen Reichs. Jedesmal, wenn ein Volk einen Machtgipfel erstiegen, tritt sein schönstes Können, das Phantasieschaffen, in die Aktion. Leicht ver¬ gänglich ist das Waffenglück, eine genaue Kunde von den Thaten der Staatsmänner ist auf lange Zeiten in den Archiven vergraben. Der Dichter und Künstler aber hat den Beruf, für die politischen Neu¬ bildungen die unvergänglichen Symbole zu formuliren, einen äusseren, sichtbaren Ausdruck für die im Herzen des Volkes lebendige Be¬ geisterung, für den inneren, sittlichen Werth des Errungenen zu finden. Die schöpferisch erregte Kraft einer grossen Zeit ersteigt ihren Höhepunkt immer erst in den künstlerischen Thaten, die auf die Kriegsstürme folgen. So hat denn das Deutsche Reichstagshaus ausser seiner praktischen auch die ideale Bestimmung, die Siege der deutschen Waffen, die neugewonnene Reichseinheit für alle Zeiten in sich zu verkörpern und den fernen Geschlechtern Kunde zu geben von dem Geist, welcher die Reichsgründer beseelt hat. Der Grundstein des Hauses, welcher am 9. Juni 1884 von Kaiser Wilhelm I. gelegt ist, enthält die Urkunde mit den kennzeichnenden Worten: „Unter den glorreichen Waffen-Erfolgen der vereinten Deutschen Stämme ist durch Gottes Fügung das Deutsche Reich zu ungeahnter Macht und Herrlichkeit erstanden. Aus der Begeisterung des Volkes und aus dem gegenseitigen Vertrauen der Bundesregierungen ist für Deutschland die Kraft erwachsen, seine Verfassung und seine nationale Entwicklung aus eigner Macht zu schützen und die Pflege seiner Wohlfahrt in die eigne Hand zu nehmen. Diesem Schutz und dieser Wohlfahrt soll die Arbeit in dem Hause dienen, dessen Grundstein Wir legen.

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/10>, abgerufen am 20.04.2024.