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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch.
zem Schwanken sich doch unzweifelhaft für Luther entschied.
Als in der Versammlung der Stände die Rede davon war,
die Prediger wenigstens auf die Schriften der vier ältesten
canonischen Lehrer der lateinischen Kirche zu verpflichten,
wußte das Regiment selbst dieß zu verhüten; so weit war
man davon entfernt, an eine Festhaltung der im Laufe der
späteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrsätze zu den-
ken. Diese Regierung faßte überhaupt die großartigsten
Absichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder
von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage
hoffte sie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann
würde sie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei-
ten, der geistlichen sowohl wie der weltlichen, kraftvoll in
die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus
einem Nationalconcilium, wie ein solches bereits angesetzt
war, unter ihrer Leitung hervorgegangen seyn! Allein zu
lange schon war man in Deutschland der Ordnung ent-
wöhnt. Weder die Ritterschaft, noch die Fürsten, noch
auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor-
kommen lassen, der sie hätten gehorchen müssen. Den Be-
schlüssen der Reichstage zum Trotz vereinigten sich einige
Fürsten auf das engste mit dem Papst; von Spanien her
verbot der Kaiser jenes Nationalconcilium; die ganze Re-
gierung ward gesprengt. Der Bauernkrieg war das Sym-
ptom der allgemeinen Auflösung, die hieraus erfolgte. Auch ist
er nicht durch die Reichsgewalt besiegt worden, sondern durch
die angegriffenen Fürsten und Stände in ihren besondern
Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das
Reichsregiment sie beabsichtigt, war nicht mehr zu denken.


Fuͤnftes Buch.
zem Schwanken ſich doch unzweifelhaft für Luther entſchied.
Als in der Verſammlung der Stände die Rede davon war,
die Prediger wenigſtens auf die Schriften der vier älteſten
canoniſchen Lehrer der lateiniſchen Kirche zu verpflichten,
wußte das Regiment ſelbſt dieß zu verhüten; ſo weit war
man davon entfernt, an eine Feſthaltung der im Laufe der
ſpäteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrſätze zu den-
ken. Dieſe Regierung faßte überhaupt die großartigſten
Abſichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder
von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage
hoffte ſie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann
würde ſie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei-
ten, der geiſtlichen ſowohl wie der weltlichen, kraftvoll in
die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus
einem Nationalconcilium, wie ein ſolches bereits angeſetzt
war, unter ihrer Leitung hervorgegangen ſeyn! Allein zu
lange ſchon war man in Deutſchland der Ordnung ent-
wöhnt. Weder die Ritterſchaft, noch die Fürſten, noch
auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor-
kommen laſſen, der ſie hätten gehorchen müſſen. Den Be-
ſchlüſſen der Reichstage zum Trotz vereinigten ſich einige
Fürſten auf das engſte mit dem Papſt; von Spanien her
verbot der Kaiſer jenes Nationalconcilium; die ganze Re-
gierung ward geſprengt. Der Bauernkrieg war das Sym-
ptom der allgemeinen Auflöſung, die hieraus erfolgte. Auch iſt
er nicht durch die Reichsgewalt beſiegt worden, ſondern durch
die angegriffenen Fürſten und Stände in ihren beſondern
Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das
Reichsregiment ſie beabſichtigt, war nicht mehr zu denken.


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[6/0022] Fuͤnftes Buch. zem Schwanken ſich doch unzweifelhaft für Luther entſchied. Als in der Verſammlung der Stände die Rede davon war, die Prediger wenigſtens auf die Schriften der vier älteſten canoniſchen Lehrer der lateiniſchen Kirche zu verpflichten, wußte das Regiment ſelbſt dieß zu verhüten; ſo weit war man davon entfernt, an eine Feſthaltung der im Laufe der ſpäteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrſätze zu den- ken. Dieſe Regierung faßte überhaupt die großartigſten Abſichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage hoffte ſie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann würde ſie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei- ten, der geiſtlichen ſowohl wie der weltlichen, kraftvoll in die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus einem Nationalconcilium, wie ein ſolches bereits angeſetzt war, unter ihrer Leitung hervorgegangen ſeyn! Allein zu lange ſchon war man in Deutſchland der Ordnung ent- wöhnt. Weder die Ritterſchaft, noch die Fürſten, noch auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor- kommen laſſen, der ſie hätten gehorchen müſſen. Den Be- ſchlüſſen der Reichstage zum Trotz vereinigten ſich einige Fürſten auf das engſte mit dem Papſt; von Spanien her verbot der Kaiſer jenes Nationalconcilium; die ganze Re- gierung ward geſprengt. Der Bauernkrieg war das Sym- ptom der allgemeinen Auflöſung, die hieraus erfolgte. Auch iſt er nicht durch die Reichsgewalt beſiegt worden, ſondern durch die angegriffenen Fürſten und Stände in ihren beſondern Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das Reichsregiment ſie beabſichtigt, war nicht mehr zu denken.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/22>, abgerufen am 28.03.2024.