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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Unruhen in Wittenberg.
schlossen sich an. Carlstadt, der so weit nicht zu bringen
war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm
hauptsächlich zum Vorwurf gemacht, daß er sich unberu-
fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die
Kanzel nicht mehr besteigen. Die gemäßigtere Meinung
wie sie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge-
fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt
näher. Eine Schrift Carlstadts, in seinem bisherigen Sinne
abgefaßt, von der schon einige Bogen abgedruckt waren,
wurde von der Universität, die dem Churfürsten darüber be-
richtete, unterdrückt. Noch einmal stellten sich die Zwi-
ckauer Luthern dar. Er warnte sie, sich nicht von den Vor-
spiegelungen des Satans verblenden zu lassen: sie antwor-
teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Mission würden
sie ihm angeben, was er in diesem Augenblicke denke; da er
es gestattete, sagten sie ihm, er fühle jetzt in seiner Seele
eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: "strafe dich
Gott, Satan;" er hat später gestanden, das sey in der That
in ihm vorgegangen, aber eben daß sie es getroffen hielt
er für ein Zeichen satanischer, nicht göttlicher Kräfte: er
entließ sie indem er gleichsam ihren Geist gegen seinen Gott
herausforderte. 1 Abstrahiren wir von der Schroffheit sei-
nes Ausdrucks, so hat dieser Kampf zwischen zwei entge-
gengesetzten Geistern, einem verderblichen und einem schützen-
den Genius eine tiefe, grandiose Wahrheit.

Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Messe
ward so weit als möglich hergestellt; vorhergehende Beichte
und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei-

1 Camerarius Vita Melanchthonis, cap. XV.
Ranke d. Gesch. II. 3

Unruhen in Wittenberg.
ſchloſſen ſich an. Carlſtadt, der ſo weit nicht zu bringen
war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm
hauptſächlich zum Vorwurf gemacht, daß er ſich unberu-
fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die
Kanzel nicht mehr beſteigen. Die gemäßigtere Meinung
wie ſie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge-
fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt
näher. Eine Schrift Carlſtadts, in ſeinem bisherigen Sinne
abgefaßt, von der ſchon einige Bogen abgedruckt waren,
wurde von der Univerſität, die dem Churfürſten darüber be-
richtete, unterdrückt. Noch einmal ſtellten ſich die Zwi-
ckauer Luthern dar. Er warnte ſie, ſich nicht von den Vor-
ſpiegelungen des Satans verblenden zu laſſen: ſie antwor-
teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Miſſion würden
ſie ihm angeben, was er in dieſem Augenblicke denke; da er
es geſtattete, ſagten ſie ihm, er fühle jetzt in ſeiner Seele
eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: „ſtrafe dich
Gott, Satan;“ er hat ſpäter geſtanden, das ſey in der That
in ihm vorgegangen, aber eben daß ſie es getroffen hielt
er für ein Zeichen ſataniſcher, nicht göttlicher Kräfte: er
entließ ſie indem er gleichſam ihren Geiſt gegen ſeinen Gott
herausforderte. 1 Abſtrahiren wir von der Schroffheit ſei-
nes Ausdrucks, ſo hat dieſer Kampf zwiſchen zwei entge-
gengeſetzten Geiſtern, einem verderblichen und einem ſchützen-
den Genius eine tiefe, grandioſe Wahrheit.

Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Meſſe
ward ſo weit als möglich hergeſtellt; vorhergehende Beichte
und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei-

1 Camerarius Vita Melanchthonis, cap. XV.
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[33/0043] Unruhen in Wittenberg. ſchloſſen ſich an. Carlſtadt, der ſo weit nicht zu bringen war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm hauptſächlich zum Vorwurf gemacht, daß er ſich unberu- fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die Kanzel nicht mehr beſteigen. Die gemäßigtere Meinung wie ſie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge- fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt näher. Eine Schrift Carlſtadts, in ſeinem bisherigen Sinne abgefaßt, von der ſchon einige Bogen abgedruckt waren, wurde von der Univerſität, die dem Churfürſten darüber be- richtete, unterdrückt. Noch einmal ſtellten ſich die Zwi- ckauer Luthern dar. Er warnte ſie, ſich nicht von den Vor- ſpiegelungen des Satans verblenden zu laſſen: ſie antwor- teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Miſſion würden ſie ihm angeben, was er in dieſem Augenblicke denke; da er es geſtattete, ſagten ſie ihm, er fühle jetzt in ſeiner Seele eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: „ſtrafe dich Gott, Satan;“ er hat ſpäter geſtanden, das ſey in der That in ihm vorgegangen, aber eben daß ſie es getroffen hielt er für ein Zeichen ſataniſcher, nicht göttlicher Kräfte: er entließ ſie indem er gleichſam ihren Geiſt gegen ſeinen Gott herausforderte. 1 Abſtrahiren wir von der Schroffheit ſei- nes Ausdrucks, ſo hat dieſer Kampf zwiſchen zwei entge- gengeſetzten Geiſtern, einem verderblichen und einem ſchützen- den Genius eine tiefe, grandioſe Wahrheit. Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Meſſe ward ſo weit als möglich hergeſtellt; vorhergehende Beichte und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei- 1 Camerarius Vita Melanchthonis, cap. XV. Ranke d. Geſch. II. 3

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/43>, abgerufen am 29.03.2024.