Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Unruhen in Wittenberg.
Creatur, entzücke sie, und spreche mit ihr. "Willst du
wissen," schreibt er Melanchthon, 1 "Zeit und Ort und Art
der göttlichen Gespräche, höre: wie der Löwe hat er meine
Gebeine zerschmettert, und: ich bin verworfen vor deinen
Augen, meine Seele ist mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl
der Hölle." "Darum redet Gott durch die Menschen,
weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er selber spräche."
Er wünschte seinem Fürsten Glück zu dem Kreuze das ihm
Gott aufgelegt; wider das Evangelium müsse nicht allein
Annas und Caiphas toben, sondern auch Judas müsse
unter den Aposteln seyn. Er kündigt ihm an, er werde
sich selbst dahin begeben. Der Churfürst bat ihn, dieß
noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum
Guten gereichen; er möge lieber seine Verantwortung für
den nächsten Reichstag vorbereiten, an dem seine Sache,
wie sich hoffen lasse, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge-
langen werde. 2 Jedoch durch Vorstellungen dieser Art
war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er
fester überzeugt gewesen, daß er das Evangelium vom Him-
mel habe, daß der Glaube ihn schützen werde; was in
Wittenberg vorgefallen, schien ihm ein Schimpf, der ihn
und das Evangelium treffe. 3 So brach er auf, ohne Rück-
sicht auf des Papstes Bann oder die Acht des Kaisers,
indem er seinen Fürsten selbst aufforderte sich nicht um ihn
zu kümmern. Er war in der großartigsten Stimmung.
Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni-

1 13 Jan. 22 ib. p. 125.
2 Instruction an Oswald Corp. Ref. I, 561.
3 An den Churfürsten 5 März II, 137.

Unruhen in Wittenberg.
Creatur, entzücke ſie, und ſpreche mit ihr. „Willſt du
wiſſen,“ ſchreibt er Melanchthon, 1 „Zeit und Ort und Art
der göttlichen Geſpräche, höre: wie der Löwe hat er meine
Gebeine zerſchmettert, und: ich bin verworfen vor deinen
Augen, meine Seele iſt mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl
der Hölle.“ „Darum redet Gott durch die Menſchen,
weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er ſelber ſpräche.“
Er wünſchte ſeinem Fürſten Glück zu dem Kreuze das ihm
Gott aufgelegt; wider das Evangelium müſſe nicht allein
Annas und Caiphas toben, ſondern auch Judas müſſe
unter den Apoſteln ſeyn. Er kündigt ihm an, er werde
ſich ſelbſt dahin begeben. Der Churfürſt bat ihn, dieß
noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum
Guten gereichen; er möge lieber ſeine Verantwortung für
den nächſten Reichstag vorbereiten, an dem ſeine Sache,
wie ſich hoffen laſſe, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge-
langen werde. 2 Jedoch durch Vorſtellungen dieſer Art
war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er
feſter überzeugt geweſen, daß er das Evangelium vom Him-
mel habe, daß der Glaube ihn ſchützen werde; was in
Wittenberg vorgefallen, ſchien ihm ein Schimpf, der ihn
und das Evangelium treffe. 3 So brach er auf, ohne Rück-
ſicht auf des Papſtes Bann oder die Acht des Kaiſers,
indem er ſeinen Fürſten ſelbſt aufforderte ſich nicht um ihn
zu kümmern. Er war in der großartigſten Stimmung.
Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni-

1 13 Jan. 22 ib. p. 125.
2 Inſtruction an Oswald Corp. Ref. I, 561.
3 An den Churfuͤrſten 5 Maͤrz II, 137.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="29"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Unruhen in Wittenberg</hi>.</fw><lb/>
Creatur, entzücke &#x017F;ie, und &#x017F;preche mit ihr. &#x201E;Will&#x017F;t du<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en,&#x201C; &#x017F;chreibt er Melanchthon, <note place="foot" n="1">13 Jan. 22 <hi rendition="#aq">ib. p. 125.</hi></note> &#x201E;Zeit und Ort und Art<lb/>
der göttlichen Ge&#x017F;präche, höre: wie der Löwe hat er meine<lb/>
Gebeine zer&#x017F;chmettert, und: ich bin verworfen vor deinen<lb/>
Augen, meine Seele i&#x017F;t mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl<lb/>
der Hölle.&#x201C; &#x201E;Darum redet Gott durch die Men&#x017F;chen,<lb/>
weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er &#x017F;elber &#x017F;präche.&#x201C;<lb/>
Er wün&#x017F;chte &#x017F;einem Für&#x017F;ten Glück zu dem Kreuze das ihm<lb/>
Gott aufgelegt; wider das Evangelium mü&#x017F;&#x017F;e nicht allein<lb/>
Annas und Caiphas toben, &#x017F;ondern auch Judas mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
unter den Apo&#x017F;teln &#x017F;eyn. Er kündigt ihm an, er werde<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dahin begeben. Der Churfür&#x017F;t bat ihn, dieß<lb/>
noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum<lb/>
Guten gereichen; er möge lieber &#x017F;eine Verantwortung für<lb/>
den näch&#x017F;ten Reichstag vorbereiten, an dem &#x017F;eine Sache,<lb/>
wie &#x017F;ich hoffen la&#x017F;&#x017F;e, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge-<lb/>
langen werde. <note place="foot" n="2">In&#x017F;truction an Oswald <hi rendition="#aq">Corp. Ref. I, 561.</hi></note> Jedoch durch Vor&#x017F;tellungen die&#x017F;er Art<lb/>
war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er<lb/>
fe&#x017F;ter überzeugt gewe&#x017F;en, daß er das Evangelium vom Him-<lb/>
mel habe, daß der Glaube ihn &#x017F;chützen werde; was in<lb/>
Wittenberg vorgefallen, &#x017F;chien ihm ein Schimpf, der ihn<lb/>
und das Evangelium treffe. <note place="foot" n="3">An den Churfu&#x0364;r&#x017F;ten 5 Ma&#x0364;rz <hi rendition="#aq">II, 137.</hi></note> So brach er auf, ohne Rück-<lb/>
&#x017F;icht auf des Pap&#x017F;tes Bann oder die Acht des Kai&#x017F;ers,<lb/>
indem er &#x017F;einen Für&#x017F;ten &#x017F;elb&#x017F;t aufforderte &#x017F;ich nicht um ihn<lb/>
zu kümmern. Er war in der großartig&#x017F;ten Stimmung.<lb/>
Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0039] Unruhen in Wittenberg. Creatur, entzücke ſie, und ſpreche mit ihr. „Willſt du wiſſen,“ ſchreibt er Melanchthon, 1 „Zeit und Ort und Art der göttlichen Geſpräche, höre: wie der Löwe hat er meine Gebeine zerſchmettert, und: ich bin verworfen vor deinen Augen, meine Seele iſt mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl der Hölle.“ „Darum redet Gott durch die Menſchen, weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er ſelber ſpräche.“ Er wünſchte ſeinem Fürſten Glück zu dem Kreuze das ihm Gott aufgelegt; wider das Evangelium müſſe nicht allein Annas und Caiphas toben, ſondern auch Judas müſſe unter den Apoſteln ſeyn. Er kündigt ihm an, er werde ſich ſelbſt dahin begeben. Der Churfürſt bat ihn, dieß noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum Guten gereichen; er möge lieber ſeine Verantwortung für den nächſten Reichstag vorbereiten, an dem ſeine Sache, wie ſich hoffen laſſe, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge- langen werde. 2 Jedoch durch Vorſtellungen dieſer Art war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er feſter überzeugt geweſen, daß er das Evangelium vom Him- mel habe, daß der Glaube ihn ſchützen werde; was in Wittenberg vorgefallen, ſchien ihm ein Schimpf, der ihn und das Evangelium treffe. 3 So brach er auf, ohne Rück- ſicht auf des Papſtes Bann oder die Acht des Kaiſers, indem er ſeinen Fürſten ſelbſt aufforderte ſich nicht um ihn zu kümmern. Er war in der großartigſten Stimmung. Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni- 1 13 Jan. 22 ib. p. 125. 2 Inſtruction an Oswald Corp. Ref. I, 561. 3 An den Churfuͤrſten 5 Maͤrz II, 137.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/39
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/39>, abgerufen am 28.03.2024.