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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.

Auch zeigt sich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung
in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm.

Carlstadt, mit dem sie sogleich in Verbindung traten,
schritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort.
Das Meßgewand ward abgeschafft; die Ohrenbeichte nicht
mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum
Abendmahl, und suchte etwas darin, die Hostie sich nicht
mehr von dem Priester reichen zu lassen, sondern sie mit
den Händen selber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei-
chen besserer Christlichkeit, daß man eben an den Fastta-
gen Eier und Fleischspeisen genoß. Man begann schon,
sich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl-
stadt nahm keine Rücksicht auf den Unterschied zwischen
Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte;
alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er
auf den Bilderdienst an; er hob hervor, daß man sich
vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde,
Opfer bringe; eben deshalb rieth er, sie zu stürmen und zu
zerstören, "diese Ölgötzen diese abgöttischen Klötze;" selbst
das Crucifix wollte er nicht gelten lassen, das man seinen
Herrgott nenne, und das höchstens an das fleischliche Lei-
den Christi erinnere; 1 es erhob sich zum ersten Mal eine
bilderstürmerische Bewegung, wie sie sich seitdem über ein halb
Jahrhundert hindurch an so viel andern Orten erzeugt
hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver-
brannte sie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr-

1 Von Abthuung der Bilder, eine Schrift die ich jedoch nur
aus den Widerlegungen kenne -- namentlich Emsers -- welche sie
hervorrief, wo denn viele Stellen wörtlich angeführt sind.
Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Auch zeigt ſich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung
in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm.

Carlſtadt, mit dem ſie ſogleich in Verbindung traten,
ſchritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort.
Das Meßgewand ward abgeſchafft; die Ohrenbeichte nicht
mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum
Abendmahl, und ſuchte etwas darin, die Hoſtie ſich nicht
mehr von dem Prieſter reichen zu laſſen, ſondern ſie mit
den Händen ſelber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei-
chen beſſerer Chriſtlichkeit, daß man eben an den Faſtta-
gen Eier und Fleiſchſpeiſen genoß. Man begann ſchon,
ſich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl-
ſtadt nahm keine Rückſicht auf den Unterſchied zwiſchen
Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte;
alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er
auf den Bilderdienſt an; er hob hervor, daß man ſich
vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde,
Opfer bringe; eben deshalb rieth er, ſie zu ſtürmen und zu
zerſtören, „dieſe Ölgötzen dieſe abgöttiſchen Klötze;“ ſelbſt
das Crucifix wollte er nicht gelten laſſen, das man ſeinen
Herrgott nenne, und das höchſtens an das fleiſchliche Lei-
den Chriſti erinnere; 1 es erhob ſich zum erſten Mal eine
bilderſtürmeriſche Bewegung, wie ſie ſich ſeitdem über ein halb
Jahrhundert hindurch an ſo viel andern Orten erzeugt
hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver-
brannte ſie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr-

1 Von Abthuung der Bilder, eine Schrift die ich jedoch nur
aus den Widerlegungen kenne — namentlich Emſers — welche ſie
hervorrief, wo denn viele Stellen woͤrtlich angefuͤhrt ſind.
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[22/0032] Drittes Buch. Erſtes Capitel. Auch zeigt ſich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm. Carlſtadt, mit dem ſie ſogleich in Verbindung traten, ſchritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort. Das Meßgewand ward abgeſchafft; die Ohrenbeichte nicht mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum Abendmahl, und ſuchte etwas darin, die Hoſtie ſich nicht mehr von dem Prieſter reichen zu laſſen, ſondern ſie mit den Händen ſelber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei- chen beſſerer Chriſtlichkeit, daß man eben an den Faſtta- gen Eier und Fleiſchſpeiſen genoß. Man begann ſchon, ſich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl- ſtadt nahm keine Rückſicht auf den Unterſchied zwiſchen Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte; alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er auf den Bilderdienſt an; er hob hervor, daß man ſich vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde, Opfer bringe; eben deshalb rieth er, ſie zu ſtürmen und zu zerſtören, „dieſe Ölgötzen dieſe abgöttiſchen Klötze;“ ſelbſt das Crucifix wollte er nicht gelten laſſen, das man ſeinen Herrgott nenne, und das höchſtens an das fleiſchliche Lei- den Chriſti erinnere; 1 es erhob ſich zum erſten Mal eine bilderſtürmeriſche Bewegung, wie ſie ſich ſeitdem über ein halb Jahrhundert hindurch an ſo viel andern Orten erzeugt hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver- brannte ſie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr- 1 Von Abthuung der Bilder, eine Schrift die ich jedoch nur aus den Widerlegungen kenne — namentlich Emſers — welche ſie hervorrief, wo denn viele Stellen woͤrtlich angefuͤhrt ſind.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/32>, abgerufen am 19.04.2024.