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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.
teln dann das Edict bei dem Kaiser ausgebracht, wie es
publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von
welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich-
nete sie mit den verächtlichsten Namen. 1 Dagegen war man
sich hier einer reinen Gesinnung, eines festen und uner-
schütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für-
sten, der einen nicht ausgesprochenen, aber auch nicht zwei-
felhaften Schutz gewährte, sicherte gegen alle unmittelbare
Gewalt.

Wagte man es aber eine so unabhängige großartige
Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge-
gengesetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün-
det, die ihren ganzen Inhalt selber noch nicht kannte,
ihre positive Gestaltung erst noch empfangen sollte, so liegt
auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über sich
nahm. Mit der Durchführung der Grundsätze, die man
bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har-
renden Menge theilnehmender Geister voranzugehn. Hier
zuerst, wo doch alle Elemente des priesterlich-kriegerischen
Staates so gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte
es sich zeigen, in wie fern es möglich sey den Abfall von
dem Priesterthum zu wagen und doch nicht zugleich den
Staat zu gefährden.

Unmöglich aber wäre es gewesen, stehen zu bleiben.
Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um sich mit
der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man

1 Glareanus ad Zwinglium Lutetiae 4 non. Julii 1521:
Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp.
Zw. p.
176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod
Leo's X erwähnt wird, gehört nicht in das Jahr 1520, sondern in
das folgende.

Drittes Buch. Erſtes Capitel.
teln dann das Edict bei dem Kaiſer ausgebracht, wie es
publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von
welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich-
nete ſie mit den verächtlichſten Namen. 1 Dagegen war man
ſich hier einer reinen Geſinnung, eines feſten und uner-
ſchütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für-
ſten, der einen nicht ausgeſprochenen, aber auch nicht zwei-
felhaften Schutz gewährte, ſicherte gegen alle unmittelbare
Gewalt.

Wagte man es aber eine ſo unabhängige großartige
Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge-
gengeſetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün-
det, die ihren ganzen Inhalt ſelber noch nicht kannte,
ihre poſitive Geſtaltung erſt noch empfangen ſollte, ſo liegt
auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über ſich
nahm. Mit der Durchführung der Grundſätze, die man
bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har-
renden Menge theilnehmender Geiſter voranzugehn. Hier
zuerſt, wo doch alle Elemente des prieſterlich-kriegeriſchen
Staates ſo gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte
es ſich zeigen, in wie fern es möglich ſey den Abfall von
dem Prieſterthum zu wagen und doch nicht zugleich den
Staat zu gefährden.

Unmöglich aber wäre es geweſen, ſtehen zu bleiben.
Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um ſich mit
der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man

1 Glareanus ad Zwinglium Lutetiae 4 non. Julii 1521:
Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp.
Zw. p.
176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod
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[12/0022] Drittes Buch. Erſtes Capitel. teln dann das Edict bei dem Kaiſer ausgebracht, wie es publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich- nete ſie mit den verächtlichſten Namen. 1 Dagegen war man ſich hier einer reinen Geſinnung, eines feſten und uner- ſchütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für- ſten, der einen nicht ausgeſprochenen, aber auch nicht zwei- felhaften Schutz gewährte, ſicherte gegen alle unmittelbare Gewalt. Wagte man es aber eine ſo unabhängige großartige Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge- gengeſetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün- det, die ihren ganzen Inhalt ſelber noch nicht kannte, ihre poſitive Geſtaltung erſt noch empfangen ſollte, ſo liegt auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über ſich nahm. Mit der Durchführung der Grundſätze, die man bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har- renden Menge theilnehmender Geiſter voranzugehn. Hier zuerſt, wo doch alle Elemente des prieſterlich-kriegeriſchen Staates ſo gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte es ſich zeigen, in wie fern es möglich ſey den Abfall von dem Prieſterthum zu wagen und doch nicht zugleich den Staat zu gefährden. Unmöglich aber wäre es geweſen, ſtehen zu bleiben. Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um ſich mit der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man 1 Glareanus ad Zwinglium Lutetiae 4 non. Julii 1521: Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp. Zw. p. 176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod Leo’s X erwaͤhnt wird, gehoͤrt nicht in das Jahr 1520, ſondern in das folgende.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/22>, abgerufen am 28.03.2024.