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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch.

Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh-
ren und der Verdammung Hussens ausbrachen, hielten sich
zwar zunächst an das geistliche Element von dem sie aus-
gegangen waren; 1 allein der Widerstand den sie fanden
erweckte gar bald eine höchst verderbliche fanatische Rich-
tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der
Kirchenväter, so gut wie die spätesten Satzungen, sondern sie
wollten die Bücher, in denen sie enthalten, vertilgt wissen.
Sie erklärten es für eitel und unevangelisch, ja sündlich,
Studien zu treiben, Grade auf den Universitäten zu em-
pfangen. 2 Sie predigten, daß Gott die Welt verderben
wolle, und nur die gerechten Menschen in fünf Städten
erretten werde: 3 ihre Prediger hielten sich für die Racheen-
gel Gottes, gesendet, um sein Gebot der Vernichtung zu
vollstrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in
eine Wüste verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht
gestanden hätte.

Denn mit einer gelingenden Opposition pflegen sich
zerstörende Tendenzen zu entwickeln; um so heftiger, je ge-
waltiger der Feind noch ist, mit dem sie kämpfen muß.


1 Ein Hauptmotiv der Bewegungen, das man gewöhnlich über-
sieht, stellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in seinem Tractat de
libertate ecclesiastica
heraus und ich will es doch hier mit seinen
Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes
possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi
per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae
per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares
nimis exasperati -- insultarunt in clerum et religiosos -- et ter-
ram prius occupatam penitus liberarunt.
2 Formula fidei Taboritarum ap. Laur. Byzynium (Brzezina):
Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p.
191.
3 Byzynii Diarium belli Hussitici ib. p. 155 sq.
Drittes Buch.

Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh-
ren und der Verdammung Huſſens ausbrachen, hielten ſich
zwar zunächſt an das geiſtliche Element von dem ſie aus-
gegangen waren; 1 allein der Widerſtand den ſie fanden
erweckte gar bald eine höchſt verderbliche fanatiſche Rich-
tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der
Kirchenväter, ſo gut wie die ſpäteſten Satzungen, ſondern ſie
wollten die Bücher, in denen ſie enthalten, vertilgt wiſſen.
Sie erklärten es für eitel und unevangeliſch, ja ſündlich,
Studien zu treiben, Grade auf den Univerſitäten zu em-
pfangen. 2 Sie predigten, daß Gott die Welt verderben
wolle, und nur die gerechten Menſchen in fünf Städten
erretten werde: 3 ihre Prediger hielten ſich für die Racheen-
gel Gottes, geſendet, um ſein Gebot der Vernichtung zu
vollſtrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in
eine Wüſte verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht
geſtanden hätte.

Denn mit einer gelingenden Oppoſition pflegen ſich
zerſtörende Tendenzen zu entwickeln; um ſo heftiger, je ge-
waltiger der Feind noch iſt, mit dem ſie kämpfen muß.


1 Ein Hauptmotiv der Bewegungen, das man gewoͤhnlich uͤber-
ſieht, ſtellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in ſeinem Tractat de
libertate ecclesiastica
heraus und ich will es doch hier mit ſeinen
Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes
possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi
per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae
per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares
nimis exasperati — insultarunt in clerum et religiosos — et ter-
ram prius occupatam penitus liberarunt.
2 Formula fidei Taboritarum ap. Laur. Byzynium (Brzezina):
Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p.
191.
3 Byzynii Diarium belli Hussitici ib. p. 155 sq.
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[6/0016] Drittes Buch. Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh- ren und der Verdammung Huſſens ausbrachen, hielten ſich zwar zunächſt an das geiſtliche Element von dem ſie aus- gegangen waren; 1 allein der Widerſtand den ſie fanden erweckte gar bald eine höchſt verderbliche fanatiſche Rich- tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der Kirchenväter, ſo gut wie die ſpäteſten Satzungen, ſondern ſie wollten die Bücher, in denen ſie enthalten, vertilgt wiſſen. Sie erklärten es für eitel und unevangeliſch, ja ſündlich, Studien zu treiben, Grade auf den Univerſitäten zu em- pfangen. 2 Sie predigten, daß Gott die Welt verderben wolle, und nur die gerechten Menſchen in fünf Städten erretten werde: 3 ihre Prediger hielten ſich für die Racheen- gel Gottes, geſendet, um ſein Gebot der Vernichtung zu vollſtrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in eine Wüſte verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht geſtanden hätte. Denn mit einer gelingenden Oppoſition pflegen ſich zerſtörende Tendenzen zu entwickeln; um ſo heftiger, je ge- waltiger der Feind noch iſt, mit dem ſie kämpfen muß. 1 Ein Hauptmotiv der Bewegungen, das man gewoͤhnlich uͤber- ſieht, ſtellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in ſeinem Tractat de libertate ecclesiastica heraus und ich will es doch hier mit ſeinen Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares nimis exasperati — insultarunt in clerum et religiosos — et ter- ram prius occupatam penitus liberarunt. 2 Formula fidei Taboritarum ap. Laur. Byzynium (Brzezina): Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p. 191. 3 Byzynii Diarium belli Hussitici ib. p. 155 sq.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/16>, abgerufen am 20.04.2024.