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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Die ersten Jesuitenschulen in Deutschland.
wohl in entgegengesetztem Sinne, eine Wirksamkeit wie
sie Wittenberg und Genf gehabt.

Nicht minderen Fleiß widmeten die Jesuiten der Lei-
tung der lateinischen Schulen. Es war einer der vornehm-
sten Gesichtspunkte des Lainez, daß man die untern Gramma-
ticalclassen gut besetzen müsse. Auf den ersten Eindruck, den
der Mensch empfange, komme doch für sein gesammtes Le-
ben das Meiste an. Er suchte mit richtiger Einsicht Leute,
welche, wenn sie dieß beschränktere Lehramt einmal ergriffen
hatten, sich demselben ihr ganzes Leben zu widmen gedach-
ten: denn erst mit der Zeit lerne sich ein so schwieriges Ge-
schäft und finde sich die natürliche Autorität ein. Es ge-
lang den Jesuiten hiemit zur Verwunderung. Man fand,
daß die Jugend bei ihnen in einem Halbjahr mehr lerne,
als bei Andern binnen zwei Jahren: selbst Protestanten rie-
fen ihre Kinder von entfernten Gymnasien zurück und über-
gaben sie den Jesuiten.

Es folgte Armenschule, Kinderlehre, Katechisation.
Canisius verfaßte seinen Katechismus, der durch wohlzu-
sammenhängende Fragen und bündige Antworten das Be-
dürfniß der Lernenden befriedigte.

Ganz in jenem devot-phantastischen Sinne nun, der
das Institut der Jesuiten von Anfang an so eigen charak-
terisirte, ward dieser Unterricht ertheilt. Der erste Rector
in Wien war ein Spanier Johann Victoria: ein Mann,
welcher einst in Rom seinen Eintritt in die Gesellschaft damit
bezeichnete, daß er während der Lustbarkeiten des Carneval
in Sack gekleidet durch den Corso ging, indem er sich im-
mer geißelte, so lange, bis ihm das Blut auf allen Sei-

Päpste* 3

Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.
wohl in entgegengeſetztem Sinne, eine Wirkſamkeit wie
ſie Wittenberg und Genf gehabt.

Nicht minderen Fleiß widmeten die Jeſuiten der Lei-
tung der lateiniſchen Schulen. Es war einer der vornehm-
ſten Geſichtspunkte des Lainez, daß man die untern Gramma-
ticalclaſſen gut beſetzen muͤſſe. Auf den erſten Eindruck, den
der Menſch empfange, komme doch fuͤr ſein geſammtes Le-
ben das Meiſte an. Er ſuchte mit richtiger Einſicht Leute,
welche, wenn ſie dieß beſchraͤnktere Lehramt einmal ergriffen
hatten, ſich demſelben ihr ganzes Leben zu widmen gedach-
ten: denn erſt mit der Zeit lerne ſich ein ſo ſchwieriges Ge-
ſchaͤft und finde ſich die natuͤrliche Autoritaͤt ein. Es ge-
lang den Jeſuiten hiemit zur Verwunderung. Man fand,
daß die Jugend bei ihnen in einem Halbjahr mehr lerne,
als bei Andern binnen zwei Jahren: ſelbſt Proteſtanten rie-
fen ihre Kinder von entfernten Gymnaſien zuruͤck und uͤber-
gaben ſie den Jeſuiten.

Es folgte Armenſchule, Kinderlehre, Katechiſation.
Caniſius verfaßte ſeinen Katechismus, der durch wohlzu-
ſammenhaͤngende Fragen und buͤndige Antworten das Be-
duͤrfniß der Lernenden befriedigte.

Ganz in jenem devot-phantaſtiſchen Sinne nun, der
das Inſtitut der Jeſuiten von Anfang an ſo eigen charak-
teriſirte, ward dieſer Unterricht ertheilt. Der erſte Rector
in Wien war ein Spanier Johann Victoria: ein Mann,
welcher einſt in Rom ſeinen Eintritt in die Geſellſchaft damit
bezeichnete, daß er waͤhrend der Luſtbarkeiten des Carneval
in Sack gekleidet durch den Corſo ging, indem er ſich im-
mer geißelte, ſo lange, bis ihm das Blut auf allen Sei-

Päpſte* 3
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[33/0045] Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland. wohl in entgegengeſetztem Sinne, eine Wirkſamkeit wie ſie Wittenberg und Genf gehabt. Nicht minderen Fleiß widmeten die Jeſuiten der Lei- tung der lateiniſchen Schulen. Es war einer der vornehm- ſten Geſichtspunkte des Lainez, daß man die untern Gramma- ticalclaſſen gut beſetzen muͤſſe. Auf den erſten Eindruck, den der Menſch empfange, komme doch fuͤr ſein geſammtes Le- ben das Meiſte an. Er ſuchte mit richtiger Einſicht Leute, welche, wenn ſie dieß beſchraͤnktere Lehramt einmal ergriffen hatten, ſich demſelben ihr ganzes Leben zu widmen gedach- ten: denn erſt mit der Zeit lerne ſich ein ſo ſchwieriges Ge- ſchaͤft und finde ſich die natuͤrliche Autoritaͤt ein. Es ge- lang den Jeſuiten hiemit zur Verwunderung. Man fand, daß die Jugend bei ihnen in einem Halbjahr mehr lerne, als bei Andern binnen zwei Jahren: ſelbſt Proteſtanten rie- fen ihre Kinder von entfernten Gymnaſien zuruͤck und uͤber- gaben ſie den Jeſuiten. Es folgte Armenſchule, Kinderlehre, Katechiſation. Caniſius verfaßte ſeinen Katechismus, der durch wohlzu- ſammenhaͤngende Fragen und buͤndige Antworten das Be- duͤrfniß der Lernenden befriedigte. Ganz in jenem devot-phantaſtiſchen Sinne nun, der das Inſtitut der Jeſuiten von Anfang an ſo eigen charak- teriſirte, ward dieſer Unterricht ertheilt. Der erſte Rector in Wien war ein Spanier Johann Victoria: ein Mann, welcher einſt in Rom ſeinen Eintritt in die Geſellſchaft damit bezeichnete, daß er waͤhrend der Luſtbarkeiten des Carneval in Sack gekleidet durch den Corſo ging, indem er ſich im- mer geißelte, ſo lange, bis ihm das Blut auf allen Sei- Päpſte* 3

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/45>, abgerufen am 28.03.2024.