Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: 28) "Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!"

Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. 29)

Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der

28) Persian Miscellanies by William Ousely. Das angezogene Gedicht habe ich im Critical Review. March 1796. gefunden.
29) Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems - eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771. und Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.

Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: 28) „Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!“

Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. 29)

Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der

28) Persian Miscellanies by William Ousely. Das angezogene Gedicht habe ich im Critical Review. March 1796. gefunden.
29) Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems – eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771. und Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0030" n="30"/>
          <p>Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: <note place="foot" n="28)"><hi rendition="#aq">Persian Miscellanies by William Ousely.</hi> Das angezogene Gedicht habe ich im <hi rendition="#aq">Critical Review. March 1796.</hi> gefunden.</note> &#x201E;Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!&#x201C;</p>
          <p>Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. <note place="foot" n="29)">Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: <hi rendition="#aq">Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems &#x2013; eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771.</hi> und <hi rendition="#aq">Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.</hi></note></p>
          <p>Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0030] Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: 28) „Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!“ Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. 29) Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der 28) Persian Miscellanies by William Ousely. Das angezogene Gedicht habe ich im Critical Review. March 1796. gefunden. 29) Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems – eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771. und Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/30
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/30>, abgerufen am 25.04.2024.