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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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der sogar Vieles von der Oekonomie des griechischen hat. Zwey Liebende, die sich bald vereinigen, werden von ihren Eltern, die sich ihrer Heirath widersetzen, getrennt. Der Liebhaber verliert darüber den Verstand, und erhält dieses Umstands wegen den Nahmen Megnun. Nach mehreren abwechselnden Schicksalen, welche die Liebenden bald näher zusammen führen, bald weiter von einander trennen, wird Leileh an Megnun's Nebenbuhler verheirathet. Aber sie verweigert diesem, treu ihrem ersten Gelübde, die Rechte der Ehe, und endigt ihr Leben vor Schmerz: Megnun folgt ihr bald nach, und die Gebeine des unglücklichen Paars werden neben einander begraben.

Man sieht wenigstens aus dieser Darstellung, so unbefriedigend sie übrigens ist, daß die Liebe hier auf keiner geistigen Vereinigung beruht. Der Zweck der beyden Liebenden ist Ehe, und Leileh setzt den Begriff des Besitzes ihrer Person in der Vereinigung der Körper. Megnun glaubt, daß die Treue, die sie ihm geschworen hat, dadurch gebrochen werde, daß sie in den Armen eines andern ruht, und sie glaubt diese dadurch zu bewahren, daß sie ihrem Gatten die letzte Gunst verweigert.

Wodurch aber kann sich die Liebe, wie sie in diesem Romanen dargestellt wird, von der Liebe in den übrigen Romanen unterscheiden, welche die Orientaler besitzen? Ich glaube durch die Autorität, welche ihre Helden aus dem Zusammenhange ihrer Begebenheiten mit dem Cyklus der heiligen Geschichte der Mahommedaner ziehen. Es sind verliebte Legenden!

Neben jenen Geschichten geheiligter Liebesabentheuer besitzen die Orientaler andere Romane, deren Süjets

der sogar Vieles von der Oekonomie des griechischen hat. Zwey Liebende, die sich bald vereinigen, werden von ihren Eltern, die sich ihrer Heirath widersetzen, getrennt. Der Liebhaber verliert darüber den Verstand, und erhält dieses Umstands wegen den Nahmen Megnun. Nach mehreren abwechselnden Schicksalen, welche die Liebenden bald näher zusammen führen, bald weiter von einander trennen, wird Leileh an Megnun’s Nebenbuhler verheirathet. Aber sie verweigert diesem, treu ihrem ersten Gelübde, die Rechte der Ehe, und endigt ihr Leben vor Schmerz: Megnun folgt ihr bald nach, und die Gebeine des unglücklichen Paars werden neben einander begraben.

Man sieht wenigstens aus dieser Darstellung, so unbefriedigend sie übrigens ist, daß die Liebe hier auf keiner geistigen Vereinigung beruht. Der Zweck der beyden Liebenden ist Ehe, und Leileh setzt den Begriff des Besitzes ihrer Person in der Vereinigung der Körper. Megnun glaubt, daß die Treue, die sie ihm geschworen hat, dadurch gebrochen werde, daß sie in den Armen eines andern ruht, und sie glaubt diese dadurch zu bewahren, daß sie ihrem Gatten die letzte Gunst verweigert.

Wodurch aber kann sich die Liebe, wie sie in diesem Romanen dargestellt wird, von der Liebe in den übrigen Romanen unterscheiden, welche die Orientaler besitzen? Ich glaube durch die Autorität, welche ihre Helden aus dem Zusammenhange ihrer Begebenheiten mit dem Cyklus der heiligen Geschichte der Mahommedaner ziehen. Es sind verliebte Legenden!

Neben jenen Geschichten geheiligter Liebesabentheuer besitzen die Orientaler andere Romane, deren Süjets

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[22/0022] der sogar Vieles von der Oekonomie des griechischen hat. Zwey Liebende, die sich bald vereinigen, werden von ihren Eltern, die sich ihrer Heirath widersetzen, getrennt. Der Liebhaber verliert darüber den Verstand, und erhält dieses Umstands wegen den Nahmen Megnun. Nach mehreren abwechselnden Schicksalen, welche die Liebenden bald näher zusammen führen, bald weiter von einander trennen, wird Leileh an Megnun’s Nebenbuhler verheirathet. Aber sie verweigert diesem, treu ihrem ersten Gelübde, die Rechte der Ehe, und endigt ihr Leben vor Schmerz: Megnun folgt ihr bald nach, und die Gebeine des unglücklichen Paars werden neben einander begraben. Man sieht wenigstens aus dieser Darstellung, so unbefriedigend sie übrigens ist, daß die Liebe hier auf keiner geistigen Vereinigung beruht. Der Zweck der beyden Liebenden ist Ehe, und Leileh setzt den Begriff des Besitzes ihrer Person in der Vereinigung der Körper. Megnun glaubt, daß die Treue, die sie ihm geschworen hat, dadurch gebrochen werde, daß sie in den Armen eines andern ruht, und sie glaubt diese dadurch zu bewahren, daß sie ihrem Gatten die letzte Gunst verweigert. Wodurch aber kann sich die Liebe, wie sie in diesem Romanen dargestellt wird, von der Liebe in den übrigen Romanen unterscheiden, welche die Orientaler besitzen? Ich glaube durch die Autorität, welche ihre Helden aus dem Zusammenhange ihrer Begebenheiten mit dem Cyklus der heiligen Geschichte der Mahommedaner ziehen. Es sind verliebte Legenden! Neben jenen Geschichten geheiligter Liebesabentheuer besitzen die Orientaler andere Romane, deren Süjets

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/22>, abgerufen am 18.04.2024.