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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Er erweckt nicht bloß für mich, und in einem einzigen Augenblicke meines Lebens, ein lebhaftes Bild in meiner geistigen Phantasie, das zugleich meine geistigen Neigungen wonnevoll rührt; nein! ich bin sicher, daß ich selbst immer so von ihm werde afficiert werden, und daß Andere eben diese Empfindung immer mit mir erhalten müssen.

Dieß Ideal des ästhetisch Edeln, dieß moralisch edle Ganze, schwebt besonders dem kultivierten Menschen beständig vor, und erleichtert ihm das Urtheil über das Wahre und Zweckmäßige alles andern Edeln, das sich nach Verschiedenheit der Gegenstände sehr vielfältig modificieren muß.

Beurtheilen wir nehmlich die einzelne Handlung, die als moralisch edel vor uns aufgestellt wird, so fällt das Urtheil ganz anders aus, als wenn wir den moralischen Charakter, aus dem sie fließen sollte, im Ganzen beschauen. Eine Aufopferung der niedrigeren Triebe der Selbstsucht, die bestimmt auf die Absicht, andern Menschen nützlich zu seyn, zurückweiset, und ihnen wirklich nützlich wird, rechtfertigt das Gefühl des Edeln vor unserm Verstande und unsrer Vernunft. Sie hat alles, was zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einer einzelnen tugendhaften Handlung erfordert wird. Wer uns aber einen tugendhaften Mann schildern, und nur einen einzigen Zug dieser Art in sein Gemählde hineinbringen wollte, den eine vorübergehende Aufwallung von Pflichtgefühl hervorgebracht hat, würde der wohl das Bild und das Gefühl des ästhetisch Edeln erwecken können? Ein Curtius, ein Wollüstling, beschließt ein Leben voll der niedrigsten Ausschweifungen mit einem heldenmüthigen Tode: er stürzt sich in den Abgrund, um seine Mitbürger

Er erweckt nicht bloß für mich, und in einem einzigen Augenblicke meines Lebens, ein lebhaftes Bild in meiner geistigen Phantasie, das zugleich meine geistigen Neigungen wonnevoll rührt; nein! ich bin sicher, daß ich selbst immer so von ihm werde afficiert werden, und daß Andere eben diese Empfindung immer mit mir erhalten müssen.

Dieß Ideal des ästhetisch Edeln, dieß moralisch edle Ganze, schwebt besonders dem kultivierten Menschen beständig vor, und erleichtert ihm das Urtheil über das Wahre und Zweckmäßige alles andern Edeln, das sich nach Verschiedenheit der Gegenstände sehr vielfältig modificieren muß.

Beurtheilen wir nehmlich die einzelne Handlung, die als moralisch edel vor uns aufgestellt wird, so fällt das Urtheil ganz anders aus, als wenn wir den moralischen Charakter, aus dem sie fließen sollte, im Ganzen beschauen. Eine Aufopferung der niedrigeren Triebe der Selbstsucht, die bestimmt auf die Absicht, andern Menschen nützlich zu seyn, zurückweiset, und ihnen wirklich nützlich wird, rechtfertigt das Gefühl des Edeln vor unserm Verstande und unsrer Vernunft. Sie hat alles, was zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einer einzelnen tugendhaften Handlung erfordert wird. Wer uns aber einen tugendhaften Mann schildern, und nur einen einzigen Zug dieser Art in sein Gemählde hineinbringen wollte, den eine vorübergehende Aufwallung von Pflichtgefühl hervorgebracht hat, würde der wohl das Bild und das Gefühl des ästhetisch Edeln erwecken können? Ein Curtius, ein Wollüstling, beschließt ein Leben voll der niedrigsten Ausschweifungen mit einem heldenmüthigen Tode: er stürzt sich in den Abgrund, um seine Mitbürger

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[23/0023] Er erweckt nicht bloß für mich, und in einem einzigen Augenblicke meines Lebens, ein lebhaftes Bild in meiner geistigen Phantasie, das zugleich meine geistigen Neigungen wonnevoll rührt; nein! ich bin sicher, daß ich selbst immer so von ihm werde afficiert werden, und daß Andere eben diese Empfindung immer mit mir erhalten müssen. Dieß Ideal des ästhetisch Edeln, dieß moralisch edle Ganze, schwebt besonders dem kultivierten Menschen beständig vor, und erleichtert ihm das Urtheil über das Wahre und Zweckmäßige alles andern Edeln, das sich nach Verschiedenheit der Gegenstände sehr vielfältig modificieren muß. Beurtheilen wir nehmlich die einzelne Handlung, die als moralisch edel vor uns aufgestellt wird, so fällt das Urtheil ganz anders aus, als wenn wir den moralischen Charakter, aus dem sie fließen sollte, im Ganzen beschauen. Eine Aufopferung der niedrigeren Triebe der Selbstsucht, die bestimmt auf die Absicht, andern Menschen nützlich zu seyn, zurückweiset, und ihnen wirklich nützlich wird, rechtfertigt das Gefühl des Edeln vor unserm Verstande und unsrer Vernunft. Sie hat alles, was zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einer einzelnen tugendhaften Handlung erfordert wird. Wer uns aber einen tugendhaften Mann schildern, und nur einen einzigen Zug dieser Art in sein Gemählde hineinbringen wollte, den eine vorübergehende Aufwallung von Pflichtgefühl hervorgebracht hat, würde der wohl das Bild und das Gefühl des ästhetisch Edeln erwecken können? Ein Curtius, ein Wollüstling, beschließt ein Leben voll der niedrigsten Ausschweifungen mit einem heldenmüthigen Tode: er stürzt sich in den Abgrund, um seine Mitbürger

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/23>, abgerufen am 23.04.2024.