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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.
als Erinnerung des gefaßten Vorsatzes Würkung
thun, und in der Folge so wie der Vorsatz erkaltet,
oder die Leidenschaft dem Nachdenken keinen weitern
Raum läßt, vergessen werden. Einer meiner Be-
kannten; der dem Jähzorn unterworfen war, schaffte
sich das Kupfer an, welches die Beschämung des
heftigen Yoricks durch den sanftmüthigen Mönch Lo-
renzo vorstellt. Er ließ es hinter Glas fassen, und
legte es auf seinen Tisch, um es an der Wand aufzu-
hängen. Sein Diener brachte ihm einen Nagel von
unangemessener Größe, und das bessernde Bild er-
fuhr die erste Probe der Unzulänglichkeit seiner Macht
gegen einen eingerissenen Fehler anzukämpfen: ein
heftiger Faustschlag auf den Tisch zerschmetterte das
Glas, und beschädigte das Kupfer.

Mein Rath ist also dieser: Der Künstler hüte
sich vor absichtlicher Veranlassung, die gröberen
Sinne in Aufruhr zu setzen, vor unedlen Formen,
und niedrigem unschicklichem Ausdruck. Dies sey
seine Sittlichkeit, seine Sittenlehre: und wegen des
Einflusses der Künste auf das moralische Gefühl, ver-
lasse er sich übrigens auf das Wesen der bildenden
Künste selbst, auf ihre Würkung im Ganzen.
Didicisse fideliter artes, emollit mores,
nec sinit esse feros.

Aber die Künstler des Alterthums, wie stark
wußten die auf ihre Nation zu würken! Frei-
lich, bei ihnen standen die Künste in besonderer
Verbindung mit der Regierungsform, mit der
politischen Erziehung; und die einen würkten
auf die andern. Wie weit sind wir von ihrer

Bür-

Pallaſt Giuſtiniani.
als Erinnerung des gefaßten Vorſatzes Wuͤrkung
thun, und in der Folge ſo wie der Vorſatz erkaltet,
oder die Leidenſchaft dem Nachdenken keinen weitern
Raum laͤßt, vergeſſen werden. Einer meiner Be-
kannten; der dem Jaͤhzorn unterworfen war, ſchaffte
ſich das Kupfer an, welches die Beſchaͤmung des
heftigen Yoricks durch den ſanftmuͤthigen Moͤnch Lo-
renzo vorſtellt. Er ließ es hinter Glas faſſen, und
legte es auf ſeinen Tiſch, um es an der Wand aufzu-
haͤngen. Sein Diener brachte ihm einen Nagel von
unangemeſſener Groͤße, und das beſſernde Bild er-
fuhr die erſte Probe der Unzulaͤnglichkeit ſeiner Macht
gegen einen eingeriſſenen Fehler anzukaͤmpfen: ein
heftiger Fauſtſchlag auf den Tiſch zerſchmetterte das
Glas, und beſchaͤdigte das Kupfer.

Mein Rath iſt alſo dieſer: Der Kuͤnſtler huͤte
ſich vor abſichtlicher Veranlaſſung, die groͤberen
Sinne in Aufruhr zu ſetzen, vor unedlen Formen,
und niedrigem unſchicklichem Ausdruck. Dies ſey
ſeine Sittlichkeit, ſeine Sittenlehre: und wegen des
Einfluſſes der Kuͤnſte auf das moraliſche Gefuͤhl, ver-
laſſe er ſich uͤbrigens auf das Weſen der bildenden
Kuͤnſte ſelbſt, auf ihre Wuͤrkung im Ganzen.
Didiciſſe fideliter artes, emollit mores,
nec ſinit eſſe feros.

Aber die Kuͤnſtler des Alterthums, wie ſtark
wußten die auf ihre Nation zu wuͤrken! Frei-
lich, bei ihnen ſtanden die Kuͤnſte in beſonderer
Verbindung mit der Regierungsform, mit der
politiſchen Erziehung; und die einen wuͤrkten
auf die andern. Wie weit ſind wir von ihrer

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[18/0042] Pallaſt Giuſtiniani. als Erinnerung des gefaßten Vorſatzes Wuͤrkung thun, und in der Folge ſo wie der Vorſatz erkaltet, oder die Leidenſchaft dem Nachdenken keinen weitern Raum laͤßt, vergeſſen werden. Einer meiner Be- kannten; der dem Jaͤhzorn unterworfen war, ſchaffte ſich das Kupfer an, welches die Beſchaͤmung des heftigen Yoricks durch den ſanftmuͤthigen Moͤnch Lo- renzo vorſtellt. Er ließ es hinter Glas faſſen, und legte es auf ſeinen Tiſch, um es an der Wand aufzu- haͤngen. Sein Diener brachte ihm einen Nagel von unangemeſſener Groͤße, und das beſſernde Bild er- fuhr die erſte Probe der Unzulaͤnglichkeit ſeiner Macht gegen einen eingeriſſenen Fehler anzukaͤmpfen: ein heftiger Fauſtſchlag auf den Tiſch zerſchmetterte das Glas, und beſchaͤdigte das Kupfer. Mein Rath iſt alſo dieſer: Der Kuͤnſtler huͤte ſich vor abſichtlicher Veranlaſſung, die groͤberen Sinne in Aufruhr zu ſetzen, vor unedlen Formen, und niedrigem unſchicklichem Ausdruck. Dies ſey ſeine Sittlichkeit, ſeine Sittenlehre: und wegen des Einfluſſes der Kuͤnſte auf das moraliſche Gefuͤhl, ver- laſſe er ſich uͤbrigens auf das Weſen der bildenden Kuͤnſte ſelbſt, auf ihre Wuͤrkung im Ganzen. Didiciſſe fideliter artes, emollit mores, nec ſinit eſſe feros. Aber die Kuͤnſtler des Alterthums, wie ſtark wußten die auf ihre Nation zu wuͤrken! Frei- lich, bei ihnen ſtanden die Kuͤnſte in beſonderer Verbindung mit der Regierungsform, mit der politiſchen Erziehung; und die einen wuͤrkten auf die andern. Wie weit ſind wir von ihrer Buͤr-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/42>, abgerufen am 28.03.2024.