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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.

Zwei Ehegatten fahren in einem Kahne über den
Strom des Lebens hin, von dem sich ein Arm zu
einem schrecklichen Catarakt bildet. Das Weib, ein
feistes faules Geschöpf, schläft auf dem Hintertheile
des Nachens. Der abgehärmte ausgemergelte
Mann erschöpft seine letzten Kräfte unter der Last des
Ruders. Ihre ausgehungerten Kinder liegen sich in
den Haaren über ein Stück Brod: Dies giebt der
einen Seite des Nachens das Uebergewicht, er
schlägt um, er sinkt in den Abgrund!

Welche Gegenstände für die Mahlerei! Wohin
wird noch endlich die Sucht führen, die Vorzüge
des Künstlers für die Vorzüge des Sittenlehrers hin-
zugeben!

Greuze hat einen Pendant zu jenem Gemählde
gemacht: Es ist die Allegorie der glücklichen Ehe:

Zwei Personen deren Gestalten jede Schönheit,
jeden Reiz ihrer verschiedenen Geschlechter darbieten,
führen in liebevoller Vereinigung das Ruder zu dem
Nachen, auf dem sie gleichfalls über den Strom des
Lebens hinfahren. Ihre beiden liebenswürdigen Kin-
der schlafen sorglos auf dem Vordertheile des Schiffs,
und Amor steuert.

Gut! hier ist beabsichtete Besserung mit einer
Vorstellung verbunden, die mein Auge angenehm
ausfüllt: hier ist vielleicht durch die Verstärkung der
Lebhaftigkeit einer an sich unsinnlichen Idee, würk-
licher Gewinn für das moralische Gefühl. Aber ge-
setzt! sie wäre es nicht; der Mann und sein Eheweib
wären der Verführer Paris, und die bundbrüchige
Helena; statt der schlafenden Kinder sähen wir als-

dann
Pallaſt Giuſtiniani.

Zwei Ehegatten fahren in einem Kahne uͤber den
Strom des Lebens hin, von dem ſich ein Arm zu
einem ſchrecklichen Catarakt bildet. Das Weib, ein
feiſtes faules Geſchoͤpf, ſchlaͤft auf dem Hintertheile
des Nachens. Der abgehaͤrmte ausgemergelte
Mann erſchoͤpft ſeine letzten Kraͤfte unter der Laſt des
Ruders. Ihre ausgehungerten Kinder liegen ſich in
den Haaren uͤber ein Stuͤck Brod: Dies giebt der
einen Seite des Nachens das Uebergewicht, er
ſchlaͤgt um, er ſinkt in den Abgrund!

Welche Gegenſtaͤnde fuͤr die Mahlerei! Wohin
wird noch endlich die Sucht fuͤhren, die Vorzuͤge
des Kuͤnſtlers fuͤr die Vorzuͤge des Sittenlehrers hin-
zugeben!

Greuze hat einen Pendant zu jenem Gemaͤhlde
gemacht: Es iſt die Allegorie der gluͤcklichen Ehe:

Zwei Perſonen deren Geſtalten jede Schoͤnheit,
jeden Reiz ihrer verſchiedenen Geſchlechter darbieten,
fuͤhren in liebevoller Vereinigung das Ruder zu dem
Nachen, auf dem ſie gleichfalls uͤber den Strom des
Lebens hinfahren. Ihre beiden liebenswuͤrdigen Kin-
der ſchlafen ſorglos auf dem Vordertheile des Schiffs,
und Amor ſteuert.

Gut! hier iſt beabſichtete Beſſerung mit einer
Vorſtellung verbunden, die mein Auge angenehm
ausfuͤllt: hier iſt vielleicht durch die Verſtaͤrkung der
Lebhaftigkeit einer an ſich unſinnlichen Idee, wuͤrk-
licher Gewinn fuͤr das moraliſche Gefuͤhl. Aber ge-
ſetzt! ſie waͤre es nicht; der Mann und ſein Eheweib
waͤren der Verfuͤhrer Paris, und die bundbruͤchige
Helena; ſtatt der ſchlafenden Kinder ſaͤhen wir als-

dann
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[16/0040] Pallaſt Giuſtiniani. Zwei Ehegatten fahren in einem Kahne uͤber den Strom des Lebens hin, von dem ſich ein Arm zu einem ſchrecklichen Catarakt bildet. Das Weib, ein feiſtes faules Geſchoͤpf, ſchlaͤft auf dem Hintertheile des Nachens. Der abgehaͤrmte ausgemergelte Mann erſchoͤpft ſeine letzten Kraͤfte unter der Laſt des Ruders. Ihre ausgehungerten Kinder liegen ſich in den Haaren uͤber ein Stuͤck Brod: Dies giebt der einen Seite des Nachens das Uebergewicht, er ſchlaͤgt um, er ſinkt in den Abgrund! Welche Gegenſtaͤnde fuͤr die Mahlerei! Wohin wird noch endlich die Sucht fuͤhren, die Vorzuͤge des Kuͤnſtlers fuͤr die Vorzuͤge des Sittenlehrers hin- zugeben! Greuze hat einen Pendant zu jenem Gemaͤhlde gemacht: Es iſt die Allegorie der gluͤcklichen Ehe: Zwei Perſonen deren Geſtalten jede Schoͤnheit, jeden Reiz ihrer verſchiedenen Geſchlechter darbieten, fuͤhren in liebevoller Vereinigung das Ruder zu dem Nachen, auf dem ſie gleichfalls uͤber den Strom des Lebens hinfahren. Ihre beiden liebenswuͤrdigen Kin- der ſchlafen ſorglos auf dem Vordertheile des Schiffs, und Amor ſteuert. Gut! hier iſt beabſichtete Beſſerung mit einer Vorſtellung verbunden, die mein Auge angenehm ausfuͤllt: hier iſt vielleicht durch die Verſtaͤrkung der Lebhaftigkeit einer an ſich unſinnlichen Idee, wuͤrk- licher Gewinn fuͤr das moraliſche Gefuͤhl. Aber ge- ſetzt! ſie waͤre es nicht; der Mann und ſein Eheweib waͤren der Verfuͤhrer Paris, und die bundbruͤchige Helena; ſtatt der ſchlafenden Kinder ſaͤhen wir als- dann

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/40>, abgerufen am 29.03.2024.