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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.
"ist zum Beispiel ein abscheuliches Ding, ein Kin-
"dermord! Ich nach meinem Gefühl kenne nichts
"schrecklicheres in der Natur! -- Ich dächte es
"würde Vortheile haben, wenn unsere Kunst solche
"Gegenstände darstellte. Sehen Sie, Graf, ich
"habe hier die Skizzen gemacht; hier das unglück-
"liche Mädchen wie es ihr Kind würgt, merken
"Sie, da oben in dem Strich da, die Verzweiflung,
"die Raserei der Mutter! Fühlen Sie das, Graf!

Vortrefflich! Vortrefflich! aber das gilt nur
dem Dichter. Dem Mahler, der das hätte sprechen
können, dürften die Alten, auf die er sich beruft, die
Kunst sogleich nach dieser Rede gelegt haben. Ein
Kindermord! Nichts scheußlicheres in der Natur!
Und dennoch soll die Vorstellung eine Quelle des
Vergnügens seyn! Für wen? Für den Grafen ge-
wiß nicht; und der ruhige Beobachter! Was weiß
der von der Veranlassung zu dieser schrecklichen That!
Er sieht die Mutter zum ersten Male, und das Un-
geheuer das ihr Kind würgt, mit Zügen entstellt
durch Verzweiflung, verzerrt durch Raserei, -- auf
immer. Ja! wird man sagen, das hat der Dichter
im Schauspiel den Mahler wohl sagen lassen können,
was kümmert den der Künstler, wo er den Menschen
braucht; aber in der Natur, in der würklichen
Welt -- Sind vielleicht keine Hogarths, keine Chodo-
wieky's bekannt? Habe ich nicht in Paris die völlige
Anwendung dieser Lehre auf einer ausgeführten Skizze
des Greuze gesehen? Ich wollte, ich hätte nicht:
Denn auf folgende Art hatte er die Allegorie einer un-
glücklichen Ehe entworfen:

Zwei

Pallaſt Giuſtiniani.
„iſt zum Beiſpiel ein abſcheuliches Ding, ein Kin-
„dermord! Ich nach meinem Gefuͤhl kenne nichts
„ſchrecklicheres in der Natur! — Ich daͤchte es
„wuͤrde Vortheile haben, wenn unſere Kunſt ſolche
„Gegenſtaͤnde darſtellte. Sehen Sie, Graf, ich
„habe hier die Skizzen gemacht; hier das ungluͤck-
„liche Maͤdchen wie es ihr Kind wuͤrgt, merken
„Sie, da oben in dem Strich da, die Verzweiflung,
„die Raſerei der Mutter! Fuͤhlen Sie das, Graf!

Vortrefflich! Vortrefflich! aber das gilt nur
dem Dichter. Dem Mahler, der das haͤtte ſprechen
koͤnnen, duͤrften die Alten, auf die er ſich beruft, die
Kunſt ſogleich nach dieſer Rede gelegt haben. Ein
Kindermord! Nichts ſcheußlicheres in der Natur!
Und dennoch ſoll die Vorſtellung eine Quelle des
Vergnuͤgens ſeyn! Fuͤr wen? Fuͤr den Grafen ge-
wiß nicht; und der ruhige Beobachter! Was weiß
der von der Veranlaſſung zu dieſer ſchrecklichen That!
Er ſieht die Mutter zum erſten Male, und das Un-
geheuer das ihr Kind wuͤrgt, mit Zuͤgen entſtellt
durch Verzweiflung, verzerrt durch Raſerei, — auf
immer. Ja! wird man ſagen, das hat der Dichter
im Schauſpiel den Mahler wohl ſagen laſſen koͤnnen,
was kuͤmmert den der Kuͤnſtler, wo er den Menſchen
braucht; aber in der Natur, in der wuͤrklichen
Welt — Sind vielleicht keine Hogarths, keine Chodo-
wieky’s bekannt? Habe ich nicht in Paris die voͤllige
Anwendung dieſer Lehre auf einer ausgefuͤhrten Skizze
des Greuze geſehen? Ich wollte, ich haͤtte nicht:
Denn auf folgende Art hatte er die Allegorie einer un-
gluͤcklichen Ehe entworfen:

Zwei
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[15/0039] Pallaſt Giuſtiniani. „iſt zum Beiſpiel ein abſcheuliches Ding, ein Kin- „dermord! Ich nach meinem Gefuͤhl kenne nichts „ſchrecklicheres in der Natur! — Ich daͤchte es „wuͤrde Vortheile haben, wenn unſere Kunſt ſolche „Gegenſtaͤnde darſtellte. Sehen Sie, Graf, ich „habe hier die Skizzen gemacht; hier das ungluͤck- „liche Maͤdchen wie es ihr Kind wuͤrgt, merken „Sie, da oben in dem Strich da, die Verzweiflung, „die Raſerei der Mutter! Fuͤhlen Sie das, Graf! Vortrefflich! Vortrefflich! aber das gilt nur dem Dichter. Dem Mahler, der das haͤtte ſprechen koͤnnen, duͤrften die Alten, auf die er ſich beruft, die Kunſt ſogleich nach dieſer Rede gelegt haben. Ein Kindermord! Nichts ſcheußlicheres in der Natur! Und dennoch ſoll die Vorſtellung eine Quelle des Vergnuͤgens ſeyn! Fuͤr wen? Fuͤr den Grafen ge- wiß nicht; und der ruhige Beobachter! Was weiß der von der Veranlaſſung zu dieſer ſchrecklichen That! Er ſieht die Mutter zum erſten Male, und das Un- geheuer das ihr Kind wuͤrgt, mit Zuͤgen entſtellt durch Verzweiflung, verzerrt durch Raſerei, — auf immer. Ja! wird man ſagen, das hat der Dichter im Schauſpiel den Mahler wohl ſagen laſſen koͤnnen, was kuͤmmert den der Kuͤnſtler, wo er den Menſchen braucht; aber in der Natur, in der wuͤrklichen Welt — Sind vielleicht keine Hogarths, keine Chodo- wieky’s bekannt? Habe ich nicht in Paris die voͤllige Anwendung dieſer Lehre auf einer ausgefuͤhrten Skizze des Greuze geſehen? Ich wollte, ich haͤtte nicht: Denn auf folgende Art hatte er die Allegorie einer un- gluͤcklichen Ehe entworfen: Zwei

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/39>, abgerufen am 25.04.2024.