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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.
bar Schö-
nen nicht im
Einzelnen,
sondern im
Ganzen.
nicht von der Befolgung festgesetzter Regeln, sondern
von dem Zusammentreffen der jedesmaligen Umstände
abhängt. Der Geist des Menschen, der sich mit
ernsthaften, und für das Wohl seiner Mitbürger
wichtigen Angelegenheiten beschäfftigt, würde der
steten Anstrengung seiner Kräfte erliegen, wenn er
nicht zuweilen eine Erholung fände, die ihn abspannt,
ohne ihn zu erschlaffen, oder vielmehr gänzlich ein-
zuschläfern.

Die Unterhaltung, welche die bildenden Künste
gewähren, scheint dazu besonders geschickt. Sie ist
leicht, weil sie sinnlich ist; sie ist beschäfftigend, weil
sie die Einbildungskraft ausfüllt, und das Empfin-
dungsvermögen zur sanften Theilnehmung einladet.
Diese Kräfte der Seele, wenn sie gleich nicht zu den
obern gehören, sind bei der Ausführung vieler Ge-
schäffte nicht ohne Würksamkeit, sie werden durch
die bildenden Künste erhalten, ausgebildet, ohne in
die lebhafte Spannung und Thätigkeit gesetzt zu wer-
den, welche die obern Erkenntniß und Urtheilskräfte
schwächen könnte.

Der größte Vorzug der bildenden Künste in
Rücksicht auf Gewinn des Verstandes aber scheint
mir dieser zu seyn, daß sie die Seele zuweilen von
der würklichen Welt abziehen, ohne sie dieser über
die Idealische vergessen zu machen. Wir erblicken
vollkommnere Menschen, aber nur der Gestalt nach,
nur als Gestalten. Wir werden ruhig, heiter, und
nicht unbillig. Wir kehren von dem Anblick der
Welt im Bilde, gleichsam als durch einen sanften
Traum gestärkt zurück, und finden uns geschickter,
die Bürde des Lebens wieder aufzunehmen.

So

Pallaſt Giuſtiniani.
bar Schoͤ-
nen nicht im
Einzelnen,
ſondern im
Ganzen.
nicht von der Befolgung feſtgeſetzter Regeln, ſondern
von dem Zuſammentreffen der jedesmaligen Umſtaͤnde
abhaͤngt. Der Geiſt des Menſchen, der ſich mit
ernſthaften, und fuͤr das Wohl ſeiner Mitbuͤrger
wichtigen Angelegenheiten beſchaͤfftigt, wuͤrde der
ſteten Anſtrengung ſeiner Kraͤfte erliegen, wenn er
nicht zuweilen eine Erholung faͤnde, die ihn abſpannt,
ohne ihn zu erſchlaffen, oder vielmehr gaͤnzlich ein-
zuſchlaͤfern.

Die Unterhaltung, welche die bildenden Kuͤnſte
gewaͤhren, ſcheint dazu beſonders geſchickt. Sie iſt
leicht, weil ſie ſinnlich iſt; ſie iſt beſchaͤfftigend, weil
ſie die Einbildungskraft ausfuͤllt, und das Empfin-
dungsvermoͤgen zur ſanften Theilnehmung einladet.
Dieſe Kraͤfte der Seele, wenn ſie gleich nicht zu den
obern gehoͤren, ſind bei der Ausfuͤhrung vieler Ge-
ſchaͤffte nicht ohne Wuͤrkſamkeit, ſie werden durch
die bildenden Kuͤnſte erhalten, ausgebildet, ohne in
die lebhafte Spannung und Thaͤtigkeit geſetzt zu wer-
den, welche die obern Erkenntniß und Urtheilskraͤfte
ſchwaͤchen koͤnnte.

Der groͤßte Vorzug der bildenden Kuͤnſte in
Ruͤckſicht auf Gewinn des Verſtandes aber ſcheint
mir dieſer zu ſeyn, daß ſie die Seele zuweilen von
der wuͤrklichen Welt abziehen, ohne ſie dieſer uͤber
die Idealiſche vergeſſen zu machen. Wir erblicken
vollkommnere Menſchen, aber nur der Geſtalt nach,
nur als Geſtalten. Wir werden ruhig, heiter, und
nicht unbillig. Wir kehren von dem Anblick der
Welt im Bilde, gleichſam als durch einen ſanften
Traum geſtaͤrkt zuruͤck, und finden uns geſchickter,
die Buͤrde des Lebens wieder aufzunehmen.

So
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[8/0032] Pallaſt Giuſtiniani. nicht von der Befolgung feſtgeſetzter Regeln, ſondern von dem Zuſammentreffen der jedesmaligen Umſtaͤnde abhaͤngt. Der Geiſt des Menſchen, der ſich mit ernſthaften, und fuͤr das Wohl ſeiner Mitbuͤrger wichtigen Angelegenheiten beſchaͤfftigt, wuͤrde der ſteten Anſtrengung ſeiner Kraͤfte erliegen, wenn er nicht zuweilen eine Erholung faͤnde, die ihn abſpannt, ohne ihn zu erſchlaffen, oder vielmehr gaͤnzlich ein- zuſchlaͤfern. bar Schoͤ- nen nicht im Einzelnen, ſondern im Ganzen. Die Unterhaltung, welche die bildenden Kuͤnſte gewaͤhren, ſcheint dazu beſonders geſchickt. Sie iſt leicht, weil ſie ſinnlich iſt; ſie iſt beſchaͤfftigend, weil ſie die Einbildungskraft ausfuͤllt, und das Empfin- dungsvermoͤgen zur ſanften Theilnehmung einladet. Dieſe Kraͤfte der Seele, wenn ſie gleich nicht zu den obern gehoͤren, ſind bei der Ausfuͤhrung vieler Ge- ſchaͤffte nicht ohne Wuͤrkſamkeit, ſie werden durch die bildenden Kuͤnſte erhalten, ausgebildet, ohne in die lebhafte Spannung und Thaͤtigkeit geſetzt zu wer- den, welche die obern Erkenntniß und Urtheilskraͤfte ſchwaͤchen koͤnnte. Der groͤßte Vorzug der bildenden Kuͤnſte in Ruͤckſicht auf Gewinn des Verſtandes aber ſcheint mir dieſer zu ſeyn, daß ſie die Seele zuweilen von der wuͤrklichen Welt abziehen, ohne ſie dieſer uͤber die Idealiſche vergeſſen zu machen. Wir erblicken vollkommnere Menſchen, aber nur der Geſtalt nach, nur als Geſtalten. Wir werden ruhig, heiter, und nicht unbillig. Wir kehren von dem Anblick der Welt im Bilde, gleichſam als durch einen ſanften Traum geſtaͤrkt zuruͤck, und finden uns geſchickter, die Buͤrde des Lebens wieder aufzunehmen. So

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/32>, abgerufen am 20.04.2024.