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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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aus Jeglichem auf seinem Wege sein eigen kleines Wohl
und Uebel herauszuklauben sich bemühet! wie er Alles
als eine Anzeige tecte oder aperte für sich selber
nimmt, der arme bedrängte Narr. Ihr seid wohl wahr¬
lich des alten invaliden Schulmeisters wegen zu Eurer
Bataille auf dem Odfelde zusammen gekommen! Da
ginge wohl auch dieser dritte Krieg um Schlesien jetzo
schon in das fünfte Jahr, bloß um dem Magister
Buchius zu seiner Unterhaltung zu dienen oder ihn in
Nöthen und Aengsten wach zu halten? Welch' eine
Thorheit, Freund! Genüget es Dir nicht zu jeglicher
Zeit bei Tage und bei Nacht, im Kriege und im
Frieden, was der Psalmist im Achtzehnten, Vers zwölf
singet: Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen
auf daß wir klug werden."

Er schlug das Buch zu und schob es von sich.
Doch nachdem er seine Pfeife von Neuem gefüllt hatte,
zog er es doch wieder heran und blätterte drin hin und
her. Es gab ihm in seinen gegenwärtigen Nöthen und
Sorgen jedenfalls eine Unterhaltung und führte durch
die bängliche Nacht weiter und weiter aus der Gegenwart
fort in Reiche, zu welchen ihm seine Selbstsüchtigkeit
gewißlich nicht folgte, sondern bloß seine Gabe, die
Welt als ein großes Wunder oder -- wie er sich aus¬
drückte -- als ein kurieuses, subtiles Mysterium an¬
zuschauen -- Deo optimo, maximo regnante. Dabei
schlug die Uhr im Thurm der Klosterkirche die Stunden,
und jedesmal wenn sie schlug, nickte der Magister mit

aus Jeglichem auf ſeinem Wege ſein eigen kleines Wohl
und Uebel herauszuklauben ſich bemühet! wie er Alles
als eine Anzeige tecte oder aperte für ſich ſelber
nimmt, der arme bedrängte Narr. Ihr ſeid wohl wahr¬
lich des alten invaliden Schulmeiſters wegen zu Eurer
Bataille auf dem Odfelde zuſammen gekommen! Da
ginge wohl auch dieſer dritte Krieg um Schleſien jetzo
ſchon in das fünfte Jahr, bloß um dem Magiſter
Buchius zu ſeiner Unterhaltung zu dienen oder ihn in
Nöthen und Aengſten wach zu halten? Welch' eine
Thorheit, Freund! Genüget es Dir nicht zu jeglicher
Zeit bei Tage und bei Nacht, im Kriege und im
Frieden, was der Pſalmiſt im Achtzehnten, Vers zwölf
ſinget: Herr, lehre uns bedenken, daß wir ſterben müſſen
auf daß wir klug werden.“

Er ſchlug das Buch zu und ſchob es von ſich.
Doch nachdem er ſeine Pfeife von Neuem gefüllt hatte,
zog er es doch wieder heran und blätterte drin hin und
her. Es gab ihm in ſeinen gegenwärtigen Nöthen und
Sorgen jedenfalls eine Unterhaltung und führte durch
die bängliche Nacht weiter und weiter aus der Gegenwart
fort in Reiche, zu welchen ihm ſeine Selbſtſüchtigkeit
gewißlich nicht folgte, ſondern bloß ſeine Gabe, die
Welt als ein großes Wunder oder — wie er ſich aus¬
drückte — als ein kurieuſes, ſubtiles Myſterium an¬
zuſchauen — Deo optimo, maximo regnante. Dabei
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[78/0086] aus Jeglichem auf ſeinem Wege ſein eigen kleines Wohl und Uebel herauszuklauben ſich bemühet! wie er Alles als eine Anzeige tecte oder aperte für ſich ſelber nimmt, der arme bedrängte Narr. Ihr ſeid wohl wahr¬ lich des alten invaliden Schulmeiſters wegen zu Eurer Bataille auf dem Odfelde zuſammen gekommen! Da ginge wohl auch dieſer dritte Krieg um Schleſien jetzo ſchon in das fünfte Jahr, bloß um dem Magiſter Buchius zu ſeiner Unterhaltung zu dienen oder ihn in Nöthen und Aengſten wach zu halten? Welch' eine Thorheit, Freund! Genüget es Dir nicht zu jeglicher Zeit bei Tage und bei Nacht, im Kriege und im Frieden, was der Pſalmiſt im Achtzehnten, Vers zwölf ſinget: Herr, lehre uns bedenken, daß wir ſterben müſſen auf daß wir klug werden.“ Er ſchlug das Buch zu und ſchob es von ſich. Doch nachdem er ſeine Pfeife von Neuem gefüllt hatte, zog er es doch wieder heran und blätterte drin hin und her. Es gab ihm in ſeinen gegenwärtigen Nöthen und Sorgen jedenfalls eine Unterhaltung und führte durch die bängliche Nacht weiter und weiter aus der Gegenwart fort in Reiche, zu welchen ihm ſeine Selbſtſüchtigkeit gewißlich nicht folgte, ſondern bloß ſeine Gabe, die Welt als ein großes Wunder oder — wie er ſich aus¬ drückte — als ein kurieuſes, ſubtiles Myſterium an¬ zuſchauen — Deo optimo, maximo regnante. Dabei ſchlug die Uhr im Thurm der Kloſterkirche die Stunden, und jedesmal wenn ſie ſchlug, nickte der Magiſter mit

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/86>, abgerufen am 28.03.2024.