"Die Thür soll ich Dir öffnen, das Fenster soll ich Dir aufmachen?" murmelte der alte Schulmeister, all¬ gemach über seine Kuriositäten hinaus wieder zu andern Bildern, Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen kommend. "Du großer Gott, wer wird mir helfen, seinen jungen Leib zur Ruhe zu betten? Das Aufgebot der Bauern? wie neulich bei Wellinghausen -- zweitausend Mann drei Tage und drei Nächte durch?"
"Krah!" rief der Vogel, als wolle er bemerken, daß er noch immer da sei. Und er flatterte auf und ungeduldig in der Zelle des Bruders Philemon im Kreise umher und schlug noch einen letzten germanischen Aschenkrug dem Gastfreund vom Brette. Man merkte es ihm wahrlich nicht mehr an, daß er gestern seiner¬ seits eine Wunde aus der Schlacht über dem Odfelde davongetragen habe.
"Du? Du? Du?" murmelte der Magister Buchius. "Du willst hinaus? Du willst helfen von der Weser bis zum Hils? Du willst mir, mir helfen auf dem Odfelde?"
Er hielt den Fensterriegel wie um ihn gegen Gott, Teufel und Welt festzuhalten und das Fenster zu. Und er reichte in seinem Grauen mit seiner Kraft doch nicht aus. Der wilde, schwarze Bote und Streiter Wodans wurde immer ungebehrdiger, wurde wie toll in seinem Willen. Er flog gegen den Kopf des Ma¬ gisters, er stieß mit seinem Kopf gegen die kleinen runden Scheiben, daß sie in ihren Bleieinfassungen er¬
„Die Thür ſoll ich Dir öffnen, das Fenſter ſoll ich Dir aufmachen?“ murmelte der alte Schulmeiſter, all¬ gemach über ſeine Kurioſitäten hinaus wieder zu andern Bildern, Vorſtellungen, Gedanken und Gefühlen kommend. „Du großer Gott, wer wird mir helfen, ſeinen jungen Leib zur Ruhe zu betten? Das Aufgebot der Bauern? wie neulich bei Wellinghauſen — zweitauſend Mann drei Tage und drei Nächte durch?“
„Krah!“ rief der Vogel, als wolle er bemerken, daß er noch immer da ſei. Und er flatterte auf und ungeduldig in der Zelle des Bruders Philemon im Kreiſe umher und ſchlug noch einen letzten germaniſchen Aſchenkrug dem Gaſtfreund vom Brette. Man merkte es ihm wahrlich nicht mehr an, daß er geſtern ſeiner¬ ſeits eine Wunde aus der Schlacht über dem Odfelde davongetragen habe.
„Du? Du? Du?“ murmelte der Magiſter Buchius. „Du willſt hinaus? Du willſt helfen von der Weſer bis zum Hils? Du willſt mir, mir helfen auf dem Odfelde?“
Er hielt den Fenſterriegel wie um ihn gegen Gott, Teufel und Welt feſtzuhalten und das Fenſter zu. Und er reichte in ſeinem Grauen mit ſeiner Kraft doch nicht aus. Der wilde, ſchwarze Bote und Streiter Wodans wurde immer ungebehrdiger, wurde wie toll in ſeinem Willen. Er flog gegen den Kopf des Ma¬ giſters, er ſtieß mit ſeinem Kopf gegen die kleinen runden Scheiben, daß ſie in ihren Bleieinfaſſungen er¬
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„Die Thür ſoll ich Dir öffnen, das Fenſter ſoll ich
Dir aufmachen?“ murmelte der alte Schulmeiſter, all¬
gemach über ſeine Kurioſitäten hinaus wieder zu andern
Bildern, Vorſtellungen, Gedanken und Gefühlen kommend.
„Du großer Gott, wer wird mir helfen, ſeinen jungen
Leib zur Ruhe zu betten? Das Aufgebot der Bauern?
wie neulich bei Wellinghauſen — zweitauſend Mann
drei Tage und drei Nächte durch?“
„Krah!“ rief der Vogel, als wolle er bemerken,
daß er noch immer da ſei. Und er flatterte auf und
ungeduldig in der Zelle des Bruders Philemon im
Kreiſe umher und ſchlug noch einen letzten germaniſchen
Aſchenkrug dem Gaſtfreund vom Brette. Man merkte
es ihm wahrlich nicht mehr an, daß er geſtern ſeiner¬
ſeits eine Wunde aus der Schlacht über dem Odfelde
davongetragen habe.
„Du? Du? Du?“ murmelte der Magiſter Buchius.
„Du willſt hinaus? Du willſt helfen von der Weſer
bis zum Hils? Du willſt mir, mir helfen auf dem
Odfelde?“
Er hielt den Fenſterriegel wie um ihn gegen Gott,
Teufel und Welt feſtzuhalten und das Fenſter zu.
Und er reichte in ſeinem Grauen mit ſeiner Kraft doch
nicht aus. Der wilde, ſchwarze Bote und Streiter
Wodans wurde immer ungebehrdiger, wurde wie toll
in ſeinem Willen. Er flog gegen den Kopf des Ma¬
giſters, er ſtieß mit ſeinem Kopf gegen die kleinen
runden Scheiben, daß ſie in ihren Bleieinfaſſungen er¬
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/307>, abgerufen am 17.04.2024.
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