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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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von ihnen und sie sahen kaum auf, wenn Einer über
sie weg trat, weil sie ihm im Wege lagen.

"Jeses, auch unser Schimmel," rief Wieschen. "Da
steht er und kaut dem Franzos das Stroh unterm Leibe
weg und Keiner kümmert sich um ihn. Auch der Herr
Amtmann nicht!"

Es sah Niemand mehr viel nach dem Andern in Kloster
Amelungsborn: auch der Herr Amtmann nicht. Es
konnte Jeder stehen, sitzen und liegen wie er wollte;
sie hatten Alle wieder die Faust des Krieges auf der
Stirn gespürt und dießmal gröber denn je. Sie gingen,
standen, saßen und lagen Alle in stumpfsinniger Be¬
täubung: Freund und Feind, Knecht, Magd und Vieh,
Herr und Diener -- "ach Gott, und die Frau Amt¬
männin und die Kinder auch!" rief das gute Wieschen,
den Arm Mademoisells von sich stoßend und über den
verwüsteten Hof auf die Treppe des Amtshauses zu¬
laufend. "Wo sind unsere Kinder? guten Abend, Frau
Amtmann! Kinder, lebt ihr denn noch? ach Gott, Frau
Amtmann, unser Junker, unser junger Herr von Münch¬
hausen liegt draußen ja todt auf dem Odfelde unter
den Franzosen und Engländern und dem Herrn Magister
seinem Vorspuk und Rabenvolk!"

"Schelze," sagte der Amtmann, "Heinrich, der
Schimmel, der da in den Hof gekommen ist -- gehört
er -- zu den Engländern oder zu den Franzosen? --
was thut das Vieh als ob's hier zu Hause wäre?
Guck doch mal hin nach ihm, Heinrich; manchmal

von ihnen und ſie ſahen kaum auf, wenn Einer über
ſie weg trat, weil ſie ihm im Wege lagen.

„Jeſes, auch unſer Schimmel,“ rief Wieſchen. „Da
ſteht er und kaut dem Franzos das Stroh unterm Leibe
weg und Keiner kümmert ſich um ihn. Auch der Herr
Amtmann nicht!“

Es ſah Niemand mehr viel nach dem Andern in Kloſter
Amelungsborn: auch der Herr Amtmann nicht. Es
konnte Jeder ſtehen, ſitzen und liegen wie er wollte;
ſie hatten Alle wieder die Fauſt des Krieges auf der
Stirn geſpürt und dießmal gröber denn je. Sie gingen,
ſtanden, ſaßen und lagen Alle in ſtumpfſinniger Be¬
täubung: Freund und Feind, Knecht, Magd und Vieh,
Herr und Diener — „ach Gott, und die Frau Amt¬
männin und die Kinder auch!“ rief das gute Wieſchen,
den Arm Mademoiſells von ſich ſtoßend und über den
verwüſteten Hof auf die Treppe des Amtshauſes zu¬
laufend. „Wo ſind unſere Kinder? guten Abend, Frau
Amtmann! Kinder, lebt ihr denn noch? ach Gott, Frau
Amtmann, unſer Junker, unſer junger Herr von Münch¬
hauſen liegt draußen ja todt auf dem Odfelde unter
den Franzoſen und Engländern und dem Herrn Magiſter
ſeinem Vorſpuk und Rabenvolk!“

„Schelze,“ ſagte der Amtmann, „Heinrich, der
Schimmel, der da in den Hof gekommen iſt — gehört
er — zu den Engländern oder zu den Franzoſen? —
was thut das Vieh als ob's hier zu Hauſe wäre?
Guck doch mal hin nach ihm, Heinrich; manchmal

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[283/0291] von ihnen und ſie ſahen kaum auf, wenn Einer über ſie weg trat, weil ſie ihm im Wege lagen. „Jeſes, auch unſer Schimmel,“ rief Wieſchen. „Da ſteht er und kaut dem Franzos das Stroh unterm Leibe weg und Keiner kümmert ſich um ihn. Auch der Herr Amtmann nicht!“ Es ſah Niemand mehr viel nach dem Andern in Kloſter Amelungsborn: auch der Herr Amtmann nicht. Es konnte Jeder ſtehen, ſitzen und liegen wie er wollte; ſie hatten Alle wieder die Fauſt des Krieges auf der Stirn geſpürt und dießmal gröber denn je. Sie gingen, ſtanden, ſaßen und lagen Alle in ſtumpfſinniger Be¬ täubung: Freund und Feind, Knecht, Magd und Vieh, Herr und Diener — „ach Gott, und die Frau Amt¬ männin und die Kinder auch!“ rief das gute Wieſchen, den Arm Mademoiſells von ſich ſtoßend und über den verwüſteten Hof auf die Treppe des Amtshauſes zu¬ laufend. „Wo ſind unſere Kinder? guten Abend, Frau Amtmann! Kinder, lebt ihr denn noch? ach Gott, Frau Amtmann, unſer Junker, unſer junger Herr von Münch¬ hauſen liegt draußen ja todt auf dem Odfelde unter den Franzoſen und Engländern und dem Herrn Magiſter ſeinem Vorſpuk und Rabenvolk!“ „Schelze,“ ſagte der Amtmann, „Heinrich, der Schimmel, der da in den Hof gekommen iſt — gehört er — zu den Engländern oder zu den Franzoſen? — was thut das Vieh als ob's hier zu Hauſe wäre? Guck doch mal hin nach ihm, Heinrich; manchmal

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/291>, abgerufen am 25.04.2024.