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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Die Geschichte ist so ulkig, daß sie sogar meiner
Alten die Kummerthränen getrocknet hat. Dir,
mein Junge, schreibe ich sie nur, um sie, wenn
sie sonst brieflich an Dich gelangen sollte, aus das
richtige Maß herunterzudrücken. Eigentlich war
es Unsinn; aber da kein Anderer augenblicklich
vorhanden war, so mußte ich wohl dran: ich habe
Schlappen für die menschliche Gesellschaft ge¬
rettet! . . . Du kennst die öde Jammerseele in
Baumwolle, Watte und mit Glace. Mußte es
dem Optimatensimpel -- äh, hä, jä, nä -- ein¬
fallen, auf die brüchige Stelle im Eise zu gerathen
und durchzubrechen! God gracious! würde
Mistreß Trotzendorff gekreischt haben; aber Ellie,
die das hochnäsige Vieh beinahe mit herunter¬
gerissen hätte ins Verderben, setzte sich gottlob
nur zeternd neben das Loch, in welchem der
Tropf verschwunden war; das Übrige kannst Du
Dir denken. Ein Riesenulk, aber etwas kühler
Natur! Und mit dem Kopfe, wie eine Fliege an
der Fensterscheibe, in der feuchten Tiefe herumzu¬
surren und vergeblich nach dem Auswege zu
suchen, auch gerade kein Vergnügen, noch dazu
mit der Verpflichtung, einen anderen Blechschädel
am Schopfe zu halten und mit nach oben zu
nehmen. Na, er -- athmete lang und athmete tief

Die Geſchichte iſt ſo ulkig, daß ſie ſogar meiner
Alten die Kummerthränen getrocknet hat. Dir,
mein Junge, ſchreibe ich ſie nur, um ſie, wenn
ſie ſonſt brieflich an Dich gelangen ſollte, aus das
richtige Maß herunterzudrücken. Eigentlich war
es Unſinn; aber da kein Anderer augenblicklich
vorhanden war, ſo mußte ich wohl dran: ich habe
Schlappen für die menſchliche Geſellſchaft ge¬
rettet! . . . Du kennſt die öde Jammerſeele in
Baumwolle, Watte und mit Glacé. Mußte es
dem Optimatenſimpel — äh, hä, jä, nä — ein¬
fallen, auf die brüchige Stelle im Eiſe zu gerathen
und durchzubrechen! God gracious! würde
Miſtreß Trotzendorff gekreiſcht haben; aber Ellie,
die das hochnäſige Vieh beinahe mit herunter¬
geriſſen hätte ins Verderben, ſetzte ſich gottlob
nur zeternd neben das Loch, in welchem der
Tropf verſchwunden war; das Übrige kannſt Du
Dir denken. Ein Rieſenulk, aber etwas kühler
Natur! Und mit dem Kopfe, wie eine Fliege an
der Fenſterſcheibe, in der feuchten Tiefe herumzu¬
ſurren und vergeblich nach dem Auswege zu
ſuchen, auch gerade kein Vergnügen, noch dazu
mit der Verpflichtung, einen anderen Blechſchädel
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[85/0095] Die Geſchichte iſt ſo ulkig, daß ſie ſogar meiner Alten die Kummerthränen getrocknet hat. Dir, mein Junge, ſchreibe ich ſie nur, um ſie, wenn ſie ſonſt brieflich an Dich gelangen ſollte, aus das richtige Maß herunterzudrücken. Eigentlich war es Unſinn; aber da kein Anderer augenblicklich vorhanden war, ſo mußte ich wohl dran: ich habe Schlappen für die menſchliche Geſellſchaft ge¬ rettet! . . . Du kennſt die öde Jammerſeele in Baumwolle, Watte und mit Glacé. Mußte es dem Optimatenſimpel — äh, hä, jä, nä — ein¬ fallen, auf die brüchige Stelle im Eiſe zu gerathen und durchzubrechen! God gracious! würde Miſtreß Trotzendorff gekreiſcht haben; aber Ellie, die das hochnäſige Vieh beinahe mit herunter¬ geriſſen hätte ins Verderben, ſetzte ſich gottlob nur zeternd neben das Loch, in welchem der Tropf verſchwunden war; das Übrige kannſt Du Dir denken. Ein Rieſenulk, aber etwas kühler Natur! Und mit dem Kopfe, wie eine Fliege an der Fenſterſcheibe, in der feuchten Tiefe herumzu¬ ſurren und vergeblich nach dem Auswege zu ſuchen, auch gerade kein Vergnügen, noch dazu mit der Verpflichtung, einen anderen Blechſchädel am Schopfe zu halten und mit nach oben zu nehmen. Na, er — athmete lang und athmete tief

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/95>, abgerufen am 28.03.2024.