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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamsell
Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir
liegt nichts dran."

Es war die höchste Zeit, daß ich mich zwischen
sie setzte, denn Helenchen war vollkommen bereit,
von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde,
Gebrauch zu machen. Ihr bester Kamerad im Vogel¬
sang hatte ihr wirklich seinen Strubbelkopf zu be¬
liebigem Verfahren hingehalten; nun aber sprang
sie doch nur auf von der Bank und stand vor uns
am Rande des Osterberges und streckte uns die Faust
zu und schnuckte und schluchzte zwischen den zusammen¬
geklemmten Zähnen durch:

"Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr
mögt alle sagen, was ihr wollt. Ihr könnt die
Nasen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf
schütteln und ihr könnt meiner Mama Sottisen
sagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner
Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater,
er mag sein wie er will! Und was könnt ihr hier
im Vogelsang von ihm wissen? Ich, die ich als
bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß
doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr
alle -- Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber
die ist auch eine Märchenkönigin -- eine viel höhere
als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem

Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamſell
Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir
liegt nichts dran.“

Es war die höchſte Zeit, daß ich mich zwiſchen
ſie ſetzte, denn Helenchen war vollkommen bereit,
von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde,
Gebrauch zu machen. Ihr beſter Kamerad im Vogel¬
ſang hatte ihr wirklich ſeinen Strubbelkopf zu be¬
liebigem Verfahren hingehalten; nun aber ſprang
ſie doch nur auf von der Bank und ſtand vor uns
am Rande des Oſterberges und ſtreckte uns die Fauſt
zu und ſchnuckte und ſchluchzte zwiſchen den zuſammen¬
geklemmten Zähnen durch:

„Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr
mögt alle ſagen, was ihr wollt. Ihr könnt die
Naſen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf
ſchütteln und ihr könnt meiner Mama Sottiſen
ſagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner
Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater,
er mag ſein wie er will! Und was könnt ihr hier
im Vogelſang von ihm wiſſen? Ich, die ich als
bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß
doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr
alle — Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber
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[71/0081] Da, greif zu und zieh mir die Kopfhaut ab, Mamſell Squaw, und das übrige Fell meinetwegen mit. Mir liegt nichts dran.“ Es war die höchſte Zeit, daß ich mich zwiſchen ſie ſetzte, denn Helenchen war vollkommen bereit, von der Erlaubniß, die ihr da eben gegeben wurde, Gebrauch zu machen. Ihr beſter Kamerad im Vogel¬ ſang hatte ihr wirklich ſeinen Strubbelkopf zu be¬ liebigem Verfahren hingehalten; nun aber ſprang ſie doch nur auf von der Bank und ſtand vor uns am Rande des Oſterberges und ſtreckte uns die Fauſt zu und ſchnuckte und ſchluchzte zwiſchen den zuſammen¬ geklemmten Zähnen durch: „Und ich glaube doch an meinen Vater! Ihr mögt alle ſagen, was ihr wollt. Ihr könnt die Naſen verziehen und rümpfen, ihr könnt den Kopf ſchütteln und ihr könnt meiner Mama Sottiſen ſagen, wie ihr wollt: ich glaube ihr doch, meiner Mama! Ich glaube doch an meinen armen Vater, er mag ſein wie er will! Und was könnt ihr hier im Vogelſang von ihm wiſſen? Ich, die ich als bloßes Wickelkind hierhergebracht worden bin, weiß doch noch mehr von der wirklichen Welt als ihr alle — Deine Mutter ausgenommen, Velten. Aber die iſt auch eine Märchenkönigin — eine viel höhere als die da unten, die kleine Durchlaucht da in ihrem

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/81>, abgerufen am 28.03.2024.