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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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genommen würde, um unter bessere Zucht und
strengere Obhut zu kommen, als sie, und ein bißchen
auch ich, leisten können. Aber sie will ihre Helene
für den lebenden Vater bei sich aufbewahren, und
ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu
sagen? Was würde der todte Vater zu Dir und
Deinem Velten sagen? Und das nimmt mir auch
gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja,
schütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben
vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes
auch wo, oder besonders wo, wie in unserem Fall,
unsere Kinder und unsere Männer für uns armen
Weibsleute mit im Spiel sind. Freilich ist's
kein dankbares Geschäft, gerade da den Vor¬
mund spielen zu müssen! Leider wissen Sie das
auch mir gegenüber aus tausendfacher Erfahrung
Nachbar Krumhardt; also" -- und so weiter und
so weiter noch eine geraume Weile.

Aber mein Vater hielt sich auch schon seit einer
geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um
nicht zu sagen: mit beiden Händen die Ohren zu.
Was sie sagen wollte, die Frau Doktorin Amalie
Andres, wußte er wohl; jedoch wie sie es heraus¬
brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht
nur seines Hausgartens, sondern auch des ganzen
Vogelsangs. Und noch dazu in Gegenwart der

W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 5

genommen würde, um unter beſſere Zucht und
ſtrengere Obhut zu kommen, als ſie, und ein bißchen
auch ich, leiſten können. Aber ſie will ihre Helene
für den lebenden Vater bei ſich aufbewahren, und
ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu
ſagen? Was würde der todte Vater zu Dir und
Deinem Velten ſagen? Und das nimmt mir auch
gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja,
ſchütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben
vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes
auch wo, oder beſonders wo, wie in unſerem Fall,
unſere Kinder und unſere Männer für uns armen
Weibsleute mit im Spiel ſind. Freilich iſt's
kein dankbares Geſchäft, gerade da den Vor¬
mund ſpielen zu müſſen! Leider wiſſen Sie das
auch mir gegenüber aus tauſendfacher Erfahrung
Nachbar Krumhardt; alſo“ — und ſo weiter und
ſo weiter noch eine geraume Weile.

Aber mein Vater hielt ſich auch ſchon ſeit einer
geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um
nicht zu ſagen: mit beiden Händen die Ohren zu.
Was ſie ſagen wollte, die Frau Doktorin Amalie
Andres, wußte er wohl; jedoch wie ſie es heraus¬
brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht
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[65/0075] genommen würde, um unter beſſere Zucht und ſtrengere Obhut zu kommen, als ſie, und ein bißchen auch ich, leiſten können. Aber ſie will ihre Helene für den lebenden Vater bei ſich aufbewahren, und ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu ſagen? Was würde der todte Vater zu Dir und Deinem Velten ſagen? Und das nimmt mir auch gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja, ſchütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes auch wo, oder beſonders wo, wie in unſerem Fall, unſere Kinder und unſere Männer für uns armen Weibsleute mit im Spiel ſind. Freilich iſt's kein dankbares Geſchäft, gerade da den Vor¬ mund ſpielen zu müſſen! Leider wiſſen Sie das auch mir gegenüber aus tauſendfacher Erfahrung Nachbar Krumhardt; alſo“ — und ſo weiter und ſo weiter noch eine geraume Weile. Aber mein Vater hielt ſich auch ſchon ſeit einer geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um nicht zu ſagen: mit beiden Händen die Ohren zu. Was ſie ſagen wollte, die Frau Doktorin Amalie Andres, wußte er wohl; jedoch wie ſie es heraus¬ brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht nur ſeines Hausgartens, ſondern auch des ganzen Vogelſangs. Und noch dazu in Gegenwart der W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 5

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/75>, abgerufen am 24.04.2024.