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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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"Du, es ist möglich, daß Du es nicht glaubst;
aber ich glaube, die Mama, Deine Mutter, setzte
häufiger ihren Willen gegen ihn da auf dem Bilde
durch, als ich den meinigen Dir gegenüber. Vor¬
züglich was die Kinder anbetrifft."

"Sie theilten sich eben auch in die Verantwortlich¬
keit dafür gegenüber der Welt, mein Schatz." --

Ja, ja, so redet man über den Schreibtisch weg,
am trauten Winterofen, in der Gartenlaube über die,
so ihrer Arbeit für diesmal entledigt sind, über die
Gras wächst und zu denen noch einige Zeit ihre
Nächsten im Leben kommen, bis Straßenzüge, Eisen¬
bahngeleise oder im besten Falle der Ackerpflug über
sie weggehen, und ihre Stätte nicht mehr gefunden,
doch auch nicht mehr gesucht wird.

Ja, über den Schreibtisch weg sehe ich heute
(nicht mit leiblichen Augen) auf unsern alten Kirch¬
hof im Vogelsang, wo sie den Rath und die Räthin
Krumhardt, den Doktor und die Frau Doktern Andres
und den Nachbar Hartleben so nachbarschaftlich neben¬
einander gebettet haben, und wo wir, meine Kinder,
mein Weib und ich, wo Velten Andres und Helene
Trotzendorff nicht ihre Ruhestätten bei ihren besten
Erziehern finden werden. Jetzt liegt auch er schon
zwischen Backsteinmauern und Cement-Kunsthandwerk,
der Friedhof des Vogelsangs; damals lag er noch

„Du, es iſt möglich, daß Du es nicht glaubſt;
aber ich glaube, die Mama, Deine Mutter, ſetzte
häufiger ihren Willen gegen ihn da auf dem Bilde
durch, als ich den meinigen Dir gegenüber. Vor¬
züglich was die Kinder anbetrifft.“

„Sie theilten ſich eben auch in die Verantwortlich¬
keit dafür gegenüber der Welt, mein Schatz.“ —

Ja, ja, ſo redet man über den Schreibtiſch weg,
am trauten Winterofen, in der Gartenlaube über die,
ſo ihrer Arbeit für diesmal entledigt ſind, über die
Gras wächſt und zu denen noch einige Zeit ihre
Nächſten im Leben kommen, bis Straßenzüge, Eiſen¬
bahngeleiſe oder im beſten Falle der Ackerpflug über
ſie weggehen, und ihre Stätte nicht mehr gefunden,
doch auch nicht mehr geſucht wird.

Ja, über den Schreibtiſch weg ſehe ich heute
(nicht mit leiblichen Augen) auf unſern alten Kirch¬
hof im Vogelſang, wo ſie den Rath und die Räthin
Krumhardt, den Doktor und die Frau Doktern Andres
und den Nachbar Hartleben ſo nachbarſchaftlich neben¬
einander gebettet haben, und wo wir, meine Kinder,
mein Weib und ich, wo Velten Andres und Helene
Trotzendorff nicht ihre Ruheſtätten bei ihren beſten
Erziehern finden werden. Jetzt liegt auch er ſchon
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[45/0055] „Du, es iſt möglich, daß Du es nicht glaubſt; aber ich glaube, die Mama, Deine Mutter, ſetzte häufiger ihren Willen gegen ihn da auf dem Bilde durch, als ich den meinigen Dir gegenüber. Vor¬ züglich was die Kinder anbetrifft.“ „Sie theilten ſich eben auch in die Verantwortlich¬ keit dafür gegenüber der Welt, mein Schatz.“ — Ja, ja, ſo redet man über den Schreibtiſch weg, am trauten Winterofen, in der Gartenlaube über die, ſo ihrer Arbeit für diesmal entledigt ſind, über die Gras wächſt und zu denen noch einige Zeit ihre Nächſten im Leben kommen, bis Straßenzüge, Eiſen¬ bahngeleiſe oder im beſten Falle der Ackerpflug über ſie weggehen, und ihre Stätte nicht mehr gefunden, doch auch nicht mehr geſucht wird. Ja, über den Schreibtiſch weg ſehe ich heute (nicht mit leiblichen Augen) auf unſern alten Kirch¬ hof im Vogelſang, wo ſie den Rath und die Räthin Krumhardt, den Doktor und die Frau Doktern Andres und den Nachbar Hartleben ſo nachbarſchaftlich neben¬ einander gebettet haben, und wo wir, meine Kinder, mein Weib und ich, wo Velten Andres und Helene Trotzendorff nicht ihre Ruheſtätten bei ihren beſten Erziehern finden werden. Jetzt liegt auch er ſchon zwiſchen Backſteinmauern und Cement-Kunſthandwerk, der Friedhof des Vogelſangs; damals lag er noch

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/55>, abgerufen am 28.03.2024.