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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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geschworen, Mutter, Du solltest nicht bloß Deinetwegen
sondern auch wegen meines Vaters zu jeder Stunde
bei Tage und bei Nacht bei ihm anklopfen, wenn Du
was von ihm brauchtest? Und hat er Dir nicht zuge¬
schworen, wenn er Dich nöthig hätte, käme er auch zu

Dir und Du solltest immer das letzte und beste Wort
bei ihm haben und dafür bedankt sein?"

"Man muß die Güte der Menschen aber auch
nicht zu sehr in Anspruch nehmen, Kind," lächelte
die Nachbarin Andres trotz aller Aufregung und
Sorge des Tages.

"Soll das etwa wieder ein Stich auf mich sein,
Amalie?" fragte die Nachbarin Trotzendorff, ihr
Taschentuch in Bereitschaft setzend und im Begriff,
ihren fragbedenklichen Lebensjammer der Schlechtig¬
keit und Bosheit der Welt überhaupt und also auch
der Mutter Veltens aufzuladen.

"Da kommt Herr Hartleben und bringt Lenchen."
Ich war's, der vom Fenster her dieses erlösende
Wort in diese "Gesellschaft am Krankenlager" warf,
und es war der Kranke, der aufsprang und gegen
die Thür lief und zwar mit den Worten:

"Was schreit es denn so? . . . Wenn Herr
Hartleben ihm --"

Er kam nicht zum Schluß seiner Rede. Hart¬
leben hatte "ihm", das heißt dieser anderen jungen

geſchworen, Mutter, Du ſollteſt nicht bloß Deinetwegen
ſondern auch wegen meines Vaters zu jeder Stunde
bei Tage und bei Nacht bei ihm anklopfen, wenn Du
was von ihm brauchteſt? Und hat er Dir nicht zuge¬
ſchworen, wenn er Dich nöthig hätte, käme er auch zu

Dir und Du ſollteſt immer das letzte und beſte Wort
bei ihm haben und dafür bedankt ſein?“

„Man muß die Güte der Menſchen aber auch
nicht zu ſehr in Anſpruch nehmen, Kind,“ lächelte
die Nachbarin Andres trotz aller Aufregung und
Sorge des Tages.

„Soll das etwa wieder ein Stich auf mich ſein,
Amalie?“ fragte die Nachbarin Trotzendorff, ihr
Taſchentuch in Bereitſchaft ſetzend und im Begriff,
ihren fragbedenklichen Lebensjammer der Schlechtig¬
keit und Bosheit der Welt überhaupt und alſo auch
der Mutter Veltens aufzuladen.

„Da kommt Herr Hartleben und bringt Lenchen.“
Ich war's, der vom Fenſter her dieſes erlöſende
Wort in dieſe „Geſellſchaft am Krankenlager“ warf,
und es war der Kranke, der aufſprang und gegen
die Thür lief und zwar mit den Worten:

„Was ſchreit es denn ſo? . . . Wenn Herr
Hartleben ihm —“

Er kam nicht zum Schluß ſeiner Rede. Hart¬
leben hatte „ihm“, das heißt dieſer anderen jungen

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[38/0048] geſchworen, Mutter, Du ſollteſt nicht bloß Deinetwegen ſondern auch wegen meines Vaters zu jeder Stunde bei Tage und bei Nacht bei ihm anklopfen, wenn Du was von ihm brauchteſt? Und hat er Dir nicht zuge¬ ſchworen, wenn er Dich nöthig hätte, käme er auch zu Dir und Du ſollteſt immer das letzte und beſte Wort bei ihm haben und dafür bedankt ſein?“ „Man muß die Güte der Menſchen aber auch nicht zu ſehr in Anſpruch nehmen, Kind,“ lächelte die Nachbarin Andres trotz aller Aufregung und Sorge des Tages. „Soll das etwa wieder ein Stich auf mich ſein, Amalie?“ fragte die Nachbarin Trotzendorff, ihr Taſchentuch in Bereitſchaft ſetzend und im Begriff, ihren fragbedenklichen Lebensjammer der Schlechtig¬ keit und Bosheit der Welt überhaupt und alſo auch der Mutter Veltens aufzuladen. „Da kommt Herr Hartleben und bringt Lenchen.“ Ich war's, der vom Fenſter her dieſes erlöſende Wort in dieſe „Geſellſchaft am Krankenlager“ warf, und es war der Kranke, der aufſprang und gegen die Thür lief und zwar mit den Worten: „Was ſchreit es denn ſo? . . . Wenn Herr Hartleben ihm —“ Er kam nicht zum Schluß ſeiner Rede. Hart¬ leben hatte „ihm“, das heißt dieſer anderen jungen

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/48>, abgerufen am 28.03.2024.