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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Helene Trotzendorff nicht, wie gern sie ihm auch oft
den Fuß auf das Herz, das gefühllose Herz gesetzt
haben würde! Sie hat ihm nur die Hand darunter
legen dürfen -- hier auf seinem Sterbebett, in seiner
Todesstunde, darunter legen müssen! Wie konnte
sie anders, die Witwe Mungo, da er sie nicht er¬
würgt und sie auch nicht angespieen hatte -- da der
arme Komödiant das elendeste Gut auf dieser Erde,
das leichtbewegte Herz trotz aller Reime eurer Poeten
und aller Sprüche eurer Weisen in seiner Brust hatte
behalten müssen, so süß und so bitter wie ich, die
arme Komödiantin, das meinige, trotzdem daß ich
mit dem Vogelsang und dem Osterberg auch unser
liebes fürstliches Residenzschloß im Thal und die
ganze Stadt und das halbe Herzogthum aus meinen
amerikanischen Eisenbahnen und Silberbergwerken
kaufen könnte?! Sein weises, thörichtes Haupt in
meiner leeren Hand -- meiner leeren, leeren be¬
sitzlosen Hand: oh wie Schade, daß Du kein Vers¬
macher bist, Du guter Freund Karl, sonst solltest
Du über Velten Andres' und Helene Trotzendorffs
Sterne, Wege und Schicksale ein Lied machen. Ob
Du ein Philosoph bist, weiß ich nicht; aber daß Du
ein kluger, guter, verständiger Mann bist, das weiß
ich; und so wenn wir jetzt wohl auf Nimmerwieder¬
sehen von einander scheiden, dann gehe heim zu

Helene Trotzendorff nicht, wie gern ſie ihm auch oft
den Fuß auf das Herz, das gefühlloſe Herz geſetzt
haben würde! Sie hat ihm nur die Hand darunter
legen dürfen — hier auf ſeinem Sterbebett, in ſeiner
Todesſtunde, darunter legen müſſen! Wie konnte
ſie anders, die Witwe Mungo, da er ſie nicht er¬
würgt und ſie auch nicht angeſpieen hatte — da der
arme Komödiant das elendeſte Gut auf dieſer Erde,
das leichtbewegte Herz trotz aller Reime eurer Poeten
und aller Sprüche eurer Weiſen in ſeiner Bruſt hatte
behalten müſſen, ſo ſüß und ſo bitter wie ich, die
arme Komödiantin, das meinige, trotzdem daß ich
mit dem Vogelſang und dem Oſterberg auch unſer
liebes fürſtliches Reſidenzſchloß im Thal und die
ganze Stadt und das halbe Herzogthum aus meinen
amerikaniſchen Eiſenbahnen und Silberbergwerken
kaufen könnte?! Sein weiſes, thörichtes Haupt in
meiner leeren Hand — meiner leeren, leeren be¬
ſitzloſen Hand: oh wie Schade, daß Du kein Vers¬
macher biſt, Du guter Freund Karl, ſonſt ſollteſt
Du über Velten Andres' und Helene Trotzendorffs
Sterne, Wege und Schickſale ein Lied machen. Ob
Du ein Philoſoph biſt, weiß ich nicht; aber daß Du
ein kluger, guter, verſtändiger Mann biſt, das weiß
ich; und ſo wenn wir jetzt wohl auf Nimmerwieder¬
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[312/0322] Helene Trotzendorff nicht, wie gern ſie ihm auch oft den Fuß auf das Herz, das gefühlloſe Herz geſetzt haben würde! Sie hat ihm nur die Hand darunter legen dürfen — hier auf ſeinem Sterbebett, in ſeiner Todesſtunde, darunter legen müſſen! Wie konnte ſie anders, die Witwe Mungo, da er ſie nicht er¬ würgt und ſie auch nicht angeſpieen hatte — da der arme Komödiant das elendeſte Gut auf dieſer Erde, das leichtbewegte Herz trotz aller Reime eurer Poeten und aller Sprüche eurer Weiſen in ſeiner Bruſt hatte behalten müſſen, ſo ſüß und ſo bitter wie ich, die arme Komödiantin, das meinige, trotzdem daß ich mit dem Vogelſang und dem Oſterberg auch unſer liebes fürſtliches Reſidenzſchloß im Thal und die ganze Stadt und das halbe Herzogthum aus meinen amerikaniſchen Eiſenbahnen und Silberbergwerken kaufen könnte?! Sein weiſes, thörichtes Haupt in meiner leeren Hand — meiner leeren, leeren be¬ ſitzloſen Hand: oh wie Schade, daß Du kein Vers¬ macher biſt, Du guter Freund Karl, ſonſt ſollteſt Du über Velten Andres' und Helene Trotzendorffs Sterne, Wege und Schickſale ein Lied machen. Ob Du ein Philoſoph biſt, weiß ich nicht; aber daß Du ein kluger, guter, verſtändiger Mann biſt, das weiß ich; und ſo wenn wir jetzt wohl auf Nimmerwieder¬ ſehen von einander ſcheiden, dann gehe heim zu

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/322>, abgerufen am 28.03.2024.