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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Armen umschlossen hielt und auf seine letzten Worte
wartete. Da strich er mir mit seiner Hand noch
einmal über die Stirn und lächelte: ,Du bist doch
mein gutes Mädchen!' Das war auch wie in unseren
Wäldern zu Hause, wo er mich mit dem Worte
tausendmal zum Küssen und Kratzen, zu Thränen
und zum Fußaufstampfen brachte. Was wußte eure
weiche, fromme Leonie von ihm und mir? Deine
liebe Frau zu Hause, in Deinem lieben Hause, Karl,
könnte da vielleicht noch mehr von uns wissen, denn
die lebt nicht allein im Traum, sondern hat Dich
und ihre Kinder und nicht bloß die Geschichte ihrer
Väter von vor Jahrhunderten und ihr Reich Gottes
von heute. Was hatte diese Fromme, Milde, Sanfte
sich zwischen mich und ihn zu drängen? Was wollte
sie hier? Ich, ich, ich, die Wittwe Mungo hatte
allein das Recht, in diesem leeren Raum mit ihm
den Kampf bis zum Ende zu ringen. Auch ihn zu
begraben hatte ich keinen von euch nöthig, auch euren
Herrn Leon nicht, obgleich ich mir dessen Freundlich¬
keit gefallen lassen habe. Was hattet ihr ihm in seinen
letzten Tagen und Stunden hinsprechen können, was
ihm den alten Glanz in seinen Augen festgehalten
hätte? Lache nicht über meine greisen Haare, über
das verrückte alte Frauenzimmer. Vor zwei Jahren
war ich, ich, die Wittwe Mungo, mit meiner Jacht

Armen umſchloſſen hielt und auf ſeine letzten Worte
wartete. Da ſtrich er mir mit ſeiner Hand noch
einmal über die Stirn und lächelte: ‚Du biſt doch
mein gutes Mädchen!‘ Das war auch wie in unſeren
Wäldern zu Hauſe, wo er mich mit dem Worte
tauſendmal zum Küſſen und Kratzen, zu Thränen
und zum Fußaufſtampfen brachte. Was wußte eure
weiche, fromme Leonie von ihm und mir? Deine
liebe Frau zu Hauſe, in Deinem lieben Hauſe, Karl,
könnte da vielleicht noch mehr von uns wiſſen, denn
die lebt nicht allein im Traum, ſondern hat Dich
und ihre Kinder und nicht bloß die Geſchichte ihrer
Väter von vor Jahrhunderten und ihr Reich Gottes
von heute. Was hatte dieſe Fromme, Milde, Sanfte
ſich zwiſchen mich und ihn zu drängen? Was wollte
ſie hier? Ich, ich, ich, die Wittwe Mungo hatte
allein das Recht, in dieſem leeren Raum mit ihm
den Kampf bis zum Ende zu ringen. Auch ihn zu
begraben hatte ich keinen von euch nöthig, auch euren
Herrn Leon nicht, obgleich ich mir deſſen Freundlich¬
keit gefallen laſſen habe. Was hattet ihr ihm in ſeinen
letzten Tagen und Stunden hinſprechen können, was
ihm den alten Glanz in ſeinen Augen feſtgehalten
hätte? Lache nicht über meine greiſen Haare, über
das verrückte alte Frauenzimmer. Vor zwei Jahren
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[310/0320] Armen umſchloſſen hielt und auf ſeine letzten Worte wartete. Da ſtrich er mir mit ſeiner Hand noch einmal über die Stirn und lächelte: ‚Du biſt doch mein gutes Mädchen!‘ Das war auch wie in unſeren Wäldern zu Hauſe, wo er mich mit dem Worte tauſendmal zum Küſſen und Kratzen, zu Thränen und zum Fußaufſtampfen brachte. Was wußte eure weiche, fromme Leonie von ihm und mir? Deine liebe Frau zu Hauſe, in Deinem lieben Hauſe, Karl, könnte da vielleicht noch mehr von uns wiſſen, denn die lebt nicht allein im Traum, ſondern hat Dich und ihre Kinder und nicht bloß die Geſchichte ihrer Väter von vor Jahrhunderten und ihr Reich Gottes von heute. Was hatte dieſe Fromme, Milde, Sanfte ſich zwiſchen mich und ihn zu drängen? Was wollte ſie hier? Ich, ich, ich, die Wittwe Mungo hatte allein das Recht, in dieſem leeren Raum mit ihm den Kampf bis zum Ende zu ringen. Auch ihn zu begraben hatte ich keinen von euch nöthig, auch euren Herrn Leon nicht, obgleich ich mir deſſen Freundlich¬ keit gefallen laſſen habe. Was hattet ihr ihm in ſeinen letzten Tagen und Stunden hinſprechen können, was ihm den alten Glanz in ſeinen Augen feſtgehalten hätte? Lache nicht über meine greiſen Haare, über das verrückte alte Frauenzimmer. Vor zwei Jahren war ich, ich, die Wittwe Mungo, mit meiner Jacht

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/320>, abgerufen am 24.04.2024.