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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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leichter und lichter machen konnte. Es giebt so
Augenblicke, Zeiten, Umstände im Menschenleben, wo
man es vollkommen vergessen hat, daß sich in der
Welt im Grunde nachher "Alles von selber
macht".

Wie ist eben jetzt, da ich dieses bei offenem
Fenster und Frühlingssonnenschein an einem geschäfts¬
losen Feiertagsmorgen zu den Akten des Vogelsangs
bringe, dem alten Gemeinplatz wieder sein volles
Recht geworden! --

Der Frühlingsanfang fällt immer in den Monat
März, aber in diesem Jahr sind auch die hohen Ostern
hineingefallen. Ich schreibe am Morgen des ersten
Ostertages, und über das Nachbardach sieht mir noch
immer, unverdaut, die höchste Kuppe des Osterbergs
auf den Schreibtisch. In der Frühlingssonne liegt
der liebe Hügel schon, auf dem wir unsere glücklichsten
und ahnungsvollsten Jugendträume träumten und
die Sterne fallen sahen, noch einige Wochen und das
junge Buchengrün wird von dem Osterberge herüber¬
leuchten : wie sich auch das immer wieder von selber
macht!

Aber was hilft es dem Menschen in seinem
einzelnen Bedrängniß, daß Himmel und Erde jung
bleiben und sein Geschlecht auch? Gegenwärtig
blendet mich über meinem Protokoll der Glanz von

leichter und lichter machen konnte. Es giebt ſo
Augenblicke, Zeiten, Umſtände im Menſchenleben, wo
man es vollkommen vergeſſen hat, daß ſich in der
Welt im Grunde nachher „Alles von ſelber
macht“.

Wie iſt eben jetzt, da ich dieſes bei offenem
Fenſter und Frühlingsſonnenſchein an einem geſchäfts¬
loſen Feiertagsmorgen zu den Akten des Vogelſangs
bringe, dem alten Gemeinplatz wieder ſein volles
Recht geworden! —

Der Frühlingsanfang fällt immer in den Monat
März, aber in dieſem Jahr ſind auch die hohen Oſtern
hineingefallen. Ich ſchreibe am Morgen des erſten
Oſtertages, und über das Nachbardach ſieht mir noch
immer, unverdaut, die höchſte Kuppe des Oſterbergs
auf den Schreibtiſch. In der Frühlingsſonne liegt
der liebe Hügel ſchon, auf dem wir unſere glücklichſten
und ahnungsvollſten Jugendträume träumten und
die Sterne fallen ſahen, noch einige Wochen und das
junge Buchengrün wird von dem Oſterberge herüber¬
leuchten : wie ſich auch das immer wieder von ſelber
macht!

Aber was hilft es dem Menſchen in ſeinem
einzelnen Bedrängniß, daß Himmel und Erde jung
bleiben und ſein Geſchlecht auch? Gegenwärtig
blendet mich über meinem Protokoll der Glanz von

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[302/0312] leichter und lichter machen konnte. Es giebt ſo Augenblicke, Zeiten, Umſtände im Menſchenleben, wo man es vollkommen vergeſſen hat, daß ſich in der Welt im Grunde nachher „Alles von ſelber macht“. Wie iſt eben jetzt, da ich dieſes bei offenem Fenſter und Frühlingsſonnenſchein an einem geſchäfts¬ loſen Feiertagsmorgen zu den Akten des Vogelſangs bringe, dem alten Gemeinplatz wieder ſein volles Recht geworden! — Der Frühlingsanfang fällt immer in den Monat März, aber in dieſem Jahr ſind auch die hohen Oſtern hineingefallen. Ich ſchreibe am Morgen des erſten Oſtertages, und über das Nachbardach ſieht mir noch immer, unverdaut, die höchſte Kuppe des Oſterbergs auf den Schreibtiſch. In der Frühlingsſonne liegt der liebe Hügel ſchon, auf dem wir unſere glücklichſten und ahnungsvollſten Jugendträume träumten und die Sterne fallen ſahen, noch einige Wochen und das junge Buchengrün wird von dem Oſterberge herüber¬ leuchten : wie ſich auch das immer wieder von ſelber macht! Aber was hilft es dem Menſchen in ſeinem einzelnen Bedrängniß, daß Himmel und Erde jung bleiben und ſein Geſchlecht auch? Gegenwärtig blendet mich über meinem Protokoll der Glanz von

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/312>, abgerufen am 25.04.2024.