Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich dann nach Hause komme, finde ich
vielleicht meinen Schwager bei meiner Frau sitzen,
und er fragt mich:

"Nun sage mir, hast Du noch immer nicht genug
von diesem maulfaulen, bodenlos langweiligen, gänzlich
verödeten Patron, diesem Mister, Senhor oder Mon¬
sieur Andres, Deinem Freund Velten? Sieh mich
nur, bitte, nicht in der veralteten, vorwurfsvollen
Weise an, lieber Krumhardt; auch das intensivste
Dankbarkeitsgefühl muß sich allmählich einem solchen
unnahbaren, unfaßbaren, ewig gähnenden und ewig
grinsenden Burschen gegenüber abstumpfen. Weiß
der Himmel, wir sind ihm seiner Zeit mit den mög¬
lichsten Avancen nahe gegangen; aber wie er uns
jetzt heimgekommen ist, möchte ich doch manchmal
wünschen, es habe mich damals ein Anderer aus der
kühlen Pfütze heraufgeholt, und ich dürfe ihm, ohne
im nächsten Abendblatt auf die Eselswiese getrieben
zu werden, sagen: Mensch, laufen Sie mir noch
einmal in den Weg, so mache ich den Verein für
öffentliche Gesundheitspflege auf Sie aufmerksam und
denunzire Sie als endemisch gefahrbringend."

Er war nicht ohne Witz, mein armer seliger
Schwager Schlappe. Durch ein Herzleiden ist er uns
nicht entrissen worden vor einem Jahre.


Wenn ich dann nach Hauſe komme, finde ich
vielleicht meinen Schwager bei meiner Frau ſitzen,
und er fragt mich:

„Nun ſage mir, haſt Du noch immer nicht genug
von dieſem maulfaulen, bodenlos langweiligen, gänzlich
verödeten Patron, dieſem Miſter, Senhor oder Mon¬
ſieur Andres, Deinem Freund Velten? Sieh mich
nur, bitte, nicht in der veralteten, vorwurfsvollen
Weiſe an, lieber Krumhardt; auch das intenſivſte
Dankbarkeitsgefühl muß ſich allmählich einem ſolchen
unnahbaren, unfaßbaren, ewig gähnenden und ewig
grinſenden Burſchen gegenüber abſtumpfen. Weiß
der Himmel, wir ſind ihm ſeiner Zeit mit den mög¬
lichſten Avancen nahe gegangen; aber wie er uns
jetzt heimgekommen iſt, möchte ich doch manchmal
wünſchen, es habe mich damals ein Anderer aus der
kühlen Pfütze heraufgeholt, und ich dürfe ihm, ohne
im nächſten Abendblatt auf die Eſelswieſe getrieben
zu werden, ſagen: Menſch, laufen Sie mir noch
einmal in den Weg, ſo mache ich den Verein für
öffentliche Geſundheitspflege auf Sie aufmerkſam und
denunzire Sie als endemiſch gefahrbringend.“

Er war nicht ohne Witz, mein armer ſeliger
Schwager Schlappe. Durch ein Herzleiden iſt er uns
nicht entriſſen worden vor einem Jahre.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0247" n="237"/>
      <p>Wenn ich dann nach Hau&#x017F;e komme, finde ich<lb/>
vielleicht meinen Schwager bei meiner Frau &#x017F;itzen,<lb/>
und er fragt mich:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Nun &#x017F;age mir, ha&#x017F;t Du noch immer nicht genug<lb/>
von die&#x017F;em maulfaulen, bodenlos langweiligen, gänzlich<lb/>
verödeten Patron, die&#x017F;em Mi&#x017F;ter, Senhor oder Mon¬<lb/>
&#x017F;ieur Andres, Deinem Freund Velten? Sieh mich<lb/>
nur, bitte, nicht in der veralteten, vorwurfsvollen<lb/>
Wei&#x017F;e an, lieber Krumhardt; auch das inten&#x017F;iv&#x017F;te<lb/>
Dankbarkeitsgefühl muß &#x017F;ich allmählich einem &#x017F;olchen<lb/>
unnahbaren, unfaßbaren, ewig gähnenden und ewig<lb/>
grin&#x017F;enden Bur&#x017F;chen gegenüber ab&#x017F;tumpfen. Weiß<lb/>
der Himmel, wir &#x017F;ind ihm &#x017F;einer Zeit mit den mög¬<lb/>
lich&#x017F;ten Avancen nahe gegangen; aber wie er uns<lb/>
jetzt heimgekommen i&#x017F;t, möchte ich doch manchmal<lb/>
wün&#x017F;chen, es habe mich damals ein Anderer aus der<lb/>
kühlen Pfütze heraufgeholt, und ich dürfe ihm, ohne<lb/>
im näch&#x017F;ten Abendblatt auf die E&#x017F;elswie&#x017F;e getrieben<lb/>
zu werden, &#x017F;agen: Men&#x017F;ch, laufen Sie mir noch<lb/>
einmal in den Weg, &#x017F;o mache ich den Verein für<lb/>
öffentliche Ge&#x017F;undheitspflege auf Sie aufmerk&#x017F;am und<lb/>
denunzire Sie als endemi&#x017F;ch gefahrbringend.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Er war nicht ohne Witz, mein armer &#x017F;eliger<lb/>
Schwager Schlappe. Durch ein Herzleiden i&#x017F;t er uns<lb/>
nicht entri&#x017F;&#x017F;en worden vor einem Jahre.</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0247] Wenn ich dann nach Hauſe komme, finde ich vielleicht meinen Schwager bei meiner Frau ſitzen, und er fragt mich: „Nun ſage mir, haſt Du noch immer nicht genug von dieſem maulfaulen, bodenlos langweiligen, gänzlich verödeten Patron, dieſem Miſter, Senhor oder Mon¬ ſieur Andres, Deinem Freund Velten? Sieh mich nur, bitte, nicht in der veralteten, vorwurfsvollen Weiſe an, lieber Krumhardt; auch das intenſivſte Dankbarkeitsgefühl muß ſich allmählich einem ſolchen unnahbaren, unfaßbaren, ewig gähnenden und ewig grinſenden Burſchen gegenüber abſtumpfen. Weiß der Himmel, wir ſind ihm ſeiner Zeit mit den mög¬ lichſten Avancen nahe gegangen; aber wie er uns jetzt heimgekommen iſt, möchte ich doch manchmal wünſchen, es habe mich damals ein Anderer aus der kühlen Pfütze heraufgeholt, und ich dürfe ihm, ohne im nächſten Abendblatt auf die Eſelswieſe getrieben zu werden, ſagen: Menſch, laufen Sie mir noch einmal in den Weg, ſo mache ich den Verein für öffentliche Geſundheitspflege auf Sie aufmerkſam und denunzire Sie als endemiſch gefahrbringend.“ Er war nicht ohne Witz, mein armer ſeliger Schwager Schlappe. Durch ein Herzleiden iſt er uns nicht entriſſen worden vor einem Jahre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/247
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/247>, abgerufen am 24.04.2024.