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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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auf dem wir voreinst unsere Wünsche an die fallenden
Sterne knüpften, genug bei hellem Tage besehen und
wir können gehen."

Wir gingen -- stiegen noch einmal den Zickzack¬
weg am Osterberge hinunter. Jetzt konnte da nicht
mehr Elly unter der Armenmannsbuche über eine
Wurzel stolpern und sich eine blutende Nase holen.
Der Weg war "planirt" worden, und wo der schöne,
alte, morsche Baum seine Zweige über ihn gestreckt
hatte, stand jetzt eine weiß gestrichene Zinkfigur, eine
Nachbildung der Canovaschen Hebe und daneben
deutete an einem anderen wohlgepflegten Pfade eine
Hand auf einer Tafel nach einem "Asyl für Nerven¬
kranke", dessen Aufblühen in seinem Waldbesitz am
Schluderkopf Vater Hartleben glücklicherweise auch
nicht mehr erlebt hatte und also auch nicht deshalb
keine Ruhe in seinem Grabe zu haben brauchte.
Um die späte Nachmittagsstunde war die Gegend hier
von Spaziergängern und Spaziergängerinnen recht
belebt. Es begegneten uns mehrere, die uns grüßten,
oder die ich zu grüßen hatte; und die öfters einen
Blick über die Schulter nach meinem Begleiter zurück¬
warfen. Daß uns Jemand begegnet sei, der etwas
aus ihm "zu machen gewußt" hätte, oder ihn nur
annähernd richtig in seine Lebensordnung und seine
Erfahrungen über menschliche Zustände und Schicksale

auf dem wir voreinſt unſere Wünſche an die fallenden
Sterne knüpften, genug bei hellem Tage beſehen und
wir können gehen.“

Wir gingen — ſtiegen noch einmal den Zickzack¬
weg am Oſterberge hinunter. Jetzt konnte da nicht
mehr Elly unter der Armenmannsbuche über eine
Wurzel ſtolpern und ſich eine blutende Naſe holen.
Der Weg war „planirt“ worden, und wo der ſchöne,
alte, morſche Baum ſeine Zweige über ihn geſtreckt
hatte, ſtand jetzt eine weiß geſtrichene Zinkfigur, eine
Nachbildung der Canovaſchen Hebe und daneben
deutete an einem anderen wohlgepflegten Pfade eine
Hand auf einer Tafel nach einem „Aſyl für Nerven¬
kranke“, deſſen Aufblühen in ſeinem Waldbeſitz am
Schluderkopf Vater Hartleben glücklicherweiſe auch
nicht mehr erlebt hatte und alſo auch nicht deshalb
keine Ruhe in ſeinem Grabe zu haben brauchte.
Um die ſpäte Nachmittagsſtunde war die Gegend hier
von Spaziergängern und Spaziergängerinnen recht
belebt. Es begegneten uns mehrere, die uns grüßten,
oder die ich zu grüßen hatte; und die öfters einen
Blick über die Schulter nach meinem Begleiter zurück¬
warfen. Daß uns Jemand begegnet ſei, der etwas
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annähernd richtig in ſeine Lebensordnung und ſeine
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[231/0241] auf dem wir voreinſt unſere Wünſche an die fallenden Sterne knüpften, genug bei hellem Tage beſehen und wir können gehen.“ Wir gingen — ſtiegen noch einmal den Zickzack¬ weg am Oſterberge hinunter. Jetzt konnte da nicht mehr Elly unter der Armenmannsbuche über eine Wurzel ſtolpern und ſich eine blutende Naſe holen. Der Weg war „planirt“ worden, und wo der ſchöne, alte, morſche Baum ſeine Zweige über ihn geſtreckt hatte, ſtand jetzt eine weiß geſtrichene Zinkfigur, eine Nachbildung der Canovaſchen Hebe und daneben deutete an einem anderen wohlgepflegten Pfade eine Hand auf einer Tafel nach einem „Aſyl für Nerven¬ kranke“, deſſen Aufblühen in ſeinem Waldbeſitz am Schluderkopf Vater Hartleben glücklicherweiſe auch nicht mehr erlebt hatte und alſo auch nicht deshalb keine Ruhe in ſeinem Grabe zu haben brauchte. Um die ſpäte Nachmittagsſtunde war die Gegend hier von Spaziergängern und Spaziergängerinnen recht belebt. Es begegneten uns mehrere, die uns grüßten, oder die ich zu grüßen hatte; und die öfters einen Blick über die Schulter nach meinem Begleiter zurück¬ warfen. Daß uns Jemand begegnet ſei, der etwas aus ihm „zu machen gewußt“ hätte, oder ihn nur annähernd richtig in ſeine Lebensordnung und ſeine Erfahrungen über menſchliche Zuſtände und Schickſale

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/241>, abgerufen am 29.03.2024.