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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Er aber, mein Freund Velten, steht wieder gerade
so gespenstisch wie damals neben meinem Sessel, legt
mir die Hand auf die Schulter und fragt:

"Nun, Alter, noch nicht des Spiels überdrüssig?"

Da habe ich denn in dieser heutigen kalten,
farblosen Winternacht, mit den ewig von Neuem sich
aufhäufenden Aktenstößen um mich her, mit all den
Enttäuschungen, Sorgen, Ärgernissen, die nicht nur
das öffentliche Leben, sondern auch das Privatleben
mit sich bringt, und im grimmen Kampf mit dem
Überdruß, der Enttäuschung, der Langenweile und
dem Ekel an der schleichenden Stunde, doch noch ein¬
mal ein: "Nein!" gesagt, dem stolz-ruhigen Schatten
gegenüber, der so wesenhaft Velten Andres in meinem
Dasein hieß.

Ich habe und halte meiner Kinder Erbtheil.
Das Spielzeug des Menschen auf Erden, das ja
auch einmal meinen Händen entfallen wird, wollen
sie aufgreifen, und ich -- ich fühle mich ihnen
gegenüber dafür noch verantwortlich! --


Doch jener Sommertag, an welchem sich der
Freund über das letzte Stückchen lebendiger Hecke
im Vogelsang lehnte, um dann seinem, ihm vom

Er aber, mein Freund Velten, ſteht wieder gerade
ſo geſpenſtiſch wie damals neben meinem Seſſel, legt
mir die Hand auf die Schulter und fragt:

„Nun, Alter, noch nicht des Spiels überdrüſſig?“

Da habe ich denn in dieſer heutigen kalten,
farbloſen Winternacht, mit den ewig von Neuem ſich
aufhäufenden Aktenſtößen um mich her, mit all den
Enttäuſchungen, Sorgen, Ärgerniſſen, die nicht nur
das öffentliche Leben, ſondern auch das Privatleben
mit ſich bringt, und im grimmen Kampf mit dem
Überdruß, der Enttäuſchung, der Langenweile und
dem Ekel an der ſchleichenden Stunde, doch noch ein¬
mal ein: „Nein!“ geſagt, dem ſtolz-ruhigen Schatten
gegenüber, der ſo weſenhaft Velten Andres in meinem
Daſein hieß.

Ich habe und halte meiner Kinder Erbtheil.
Das Spielzeug des Menſchen auf Erden, das ja
auch einmal meinen Händen entfallen wird, wollen
ſie aufgreifen, und ich — ich fühle mich ihnen
gegenüber dafür noch verantwortlich! —


Doch jener Sommertag, an welchem ſich der
Freund über das letzte Stückchen lebendiger Hecke
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[217/0227] Er aber, mein Freund Velten, ſteht wieder gerade ſo geſpenſtiſch wie damals neben meinem Seſſel, legt mir die Hand auf die Schulter und fragt: „Nun, Alter, noch nicht des Spiels überdrüſſig?“ Da habe ich denn in dieſer heutigen kalten, farbloſen Winternacht, mit den ewig von Neuem ſich aufhäufenden Aktenſtößen um mich her, mit all den Enttäuſchungen, Sorgen, Ärgerniſſen, die nicht nur das öffentliche Leben, ſondern auch das Privatleben mit ſich bringt, und im grimmen Kampf mit dem Überdruß, der Enttäuſchung, der Langenweile und dem Ekel an der ſchleichenden Stunde, doch noch ein¬ mal ein: „Nein!“ geſagt, dem ſtolz-ruhigen Schatten gegenüber, der ſo weſenhaft Velten Andres in meinem Daſein hieß. Ich habe und halte meiner Kinder Erbtheil. Das Spielzeug des Menſchen auf Erden, das ja auch einmal meinen Händen entfallen wird, wollen ſie aufgreifen, und ich — ich fühle mich ihnen gegenüber dafür noch verantwortlich! — Doch jener Sommertag, an welchem ſich der Freund über das letzte Stückchen lebendiger Hecke im Vogelſang lehnte, um dann ſeinem, ihm vom

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/227>, abgerufen am 28.03.2024.