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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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traurigen Zuge mein Auge doch nur diesen grünen
Punkt in all dem neuen fremden Mauerwerk suchte
und sich der Exbürger des Orts mit einer Art
von Heimwehgefühl dort festzuklammern suchte! Und
nun -- gerade vor dem Anwesen der Familien
Krumhardt und Andres redeten die beiden würdigen
geistlichen Herren, zwischen denen ich hinter dem
Sarge schritt, so treulich und wohlmeinend das
Passende auf mich ein, daß es eine rechte Unhöflich¬
keit von mir gewesen sein würde, wenn ich ihnen
nicht nach rechts und nach links hin das Ohr geliehen
hätte! So habe ich damals trotz allem nur flüchtig
hingrüßen können nach der greisen Freundin und
Nachbarin an dem zerfallenden morschen Garten¬
thürchen und ganz außer acht gelassen, daß sie nicht
allein an der Pforte zu ihrem so tapfer festgehaltenen
Reiche stand, um den Familienfreund vorbeiziehen
zu sehen. Es hätte auch doch wohl eine Störung
im Zuge gegeben, wenn -- Velten Andres an dem
Morgen aus seinem Garten sofort an meine Seite
getreten wäre! -- -- -- -- -- -- -- --

Er hat sich an das Ende des Zuges angeschlossen
und mich also auf dem ernsten Wege davor bewahrt,
Aufsehen durch eine augenblicklich unschickliche Auf¬
regung über ein plötzliches unvermuthetes Wiedersehen
zu erwecken. Auf dem Friedhofe selbst aber, wo die

traurigen Zuge mein Auge doch nur dieſen grünen
Punkt in all dem neuen fremden Mauerwerk ſuchte
und ſich der Exbürger des Orts mit einer Art
von Heimwehgefühl dort feſtzuklammern ſuchte! Und
nun — gerade vor dem Anweſen der Familien
Krumhardt und Andres redeten die beiden würdigen
geiſtlichen Herren, zwiſchen denen ich hinter dem
Sarge ſchritt, ſo treulich und wohlmeinend das
Paſſende auf mich ein, daß es eine rechte Unhöflich¬
keit von mir geweſen ſein würde, wenn ich ihnen
nicht nach rechts und nach links hin das Ohr geliehen
hätte! So habe ich damals trotz allem nur flüchtig
hingrüßen können nach der greiſen Freundin und
Nachbarin an dem zerfallenden morſchen Garten¬
thürchen und ganz außer acht gelaſſen, daß ſie nicht
allein an der Pforte zu ihrem ſo tapfer feſtgehaltenen
Reiche ſtand, um den Familienfreund vorbeiziehen
zu ſehen. Es hätte auch doch wohl eine Störung
im Zuge gegeben, wenn — Velten Andres an dem
Morgen aus ſeinem Garten ſofort an meine Seite
getreten wäre! — — — — — — — —

Er hat ſich an das Ende des Zuges angeſchloſſen
und mich alſo auf dem ernſten Wege davor bewahrt,
Aufſehen durch eine augenblicklich unſchickliche Auf¬
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[208/0218] traurigen Zuge mein Auge doch nur dieſen grünen Punkt in all dem neuen fremden Mauerwerk ſuchte und ſich der Exbürger des Orts mit einer Art von Heimwehgefühl dort feſtzuklammern ſuchte! Und nun — gerade vor dem Anweſen der Familien Krumhardt und Andres redeten die beiden würdigen geiſtlichen Herren, zwiſchen denen ich hinter dem Sarge ſchritt, ſo treulich und wohlmeinend das Paſſende auf mich ein, daß es eine rechte Unhöflich¬ keit von mir geweſen ſein würde, wenn ich ihnen nicht nach rechts und nach links hin das Ohr geliehen hätte! So habe ich damals trotz allem nur flüchtig hingrüßen können nach der greiſen Freundin und Nachbarin an dem zerfallenden morſchen Garten¬ thürchen und ganz außer acht gelaſſen, daß ſie nicht allein an der Pforte zu ihrem ſo tapfer feſtgehaltenen Reiche ſtand, um den Familienfreund vorbeiziehen zu ſehen. Es hätte auch doch wohl eine Störung im Zuge gegeben, wenn — Velten Andres an dem Morgen aus ſeinem Garten ſofort an meine Seite getreten wäre! — — — — — — — — Er hat ſich an das Ende des Zuges angeſchloſſen und mich alſo auf dem ernſten Wege davor bewahrt, Aufſehen durch eine augenblicklich unſchickliche Auf¬ regung über ein plötzliches unvermuthetes Wiederſehen zu erwecken. Auf dem Friedhofe ſelbſt aber, wo die

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/218>, abgerufen am 24.04.2024.