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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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sie mir nicht annähen, worauf wir doch so fest
gerechnet und des Lebens Seligkeit vom Vogel¬
sang aus gegründet hatten; und das erinnert mich
nun gerade erst recht an Deinen alten Nähtisch,
auf dem dieser Brief, wenn der Ocean ihn nicht
verschlingt, demnächst liegen wird und erinnert mich
an Deinen Sessel dabei und das leere "Schawelche"
daneben und den Blick durch die Epheuranken,
über den Garten weg, auf den Nachbar Hartleben
und sein Anwesen (Strohwittwe Trotzendorff und
Töchterlein eingeschlossen) hinein in den ganzen
Vogelsang, und -- ich bin wieder allein auf die
alte Frau im Korbsessel an dem Fenster angewiesen
und ein Vagabund -- ein Wanderer im Leben --
zerlumpter denn je. In die hiesigen Verhältnisse
habe ich mich übrigens eingelebt, daß ich meinen
jüngsten Freunden keinen Grund zur Verwunderung
mehr gebe. Wünschest Du mich auch als Millionär
wiederzusehen wie Mr. Charles Trotzendorff? Oder
ziehst Du den deutsch-amerikanischen Staatsmann,
Muster: Karl Schurz, vor? Meine Vogelsang¬
studien im Englischen, unserer Kleinen zuliebe,
kommen mir jetzt wundervoll zu statten. Die
Phrasen und den Tonfall um eine "Mäh" jauch¬
zende Menschenansammlung zum "Bäh" jammern
zu bringen, und das politische Thier, Mensch ge¬

ſie mir nicht annähen, worauf wir doch ſo feſt
gerechnet und des Lebens Seligkeit vom Vogel¬
ſang aus gegründet hatten; und das erinnert mich
nun gerade erſt recht an Deinen alten Nähtiſch,
auf dem dieſer Brief, wenn der Ocean ihn nicht
verſchlingt, demnächſt liegen wird und erinnert mich
an Deinen Seſſel dabei und das leere „Schawelche“
daneben und den Blick durch die Epheuranken,
über den Garten weg, auf den Nachbar Hartleben
und ſein Anweſen (Strohwittwe Trotzendorff und
Töchterlein eingeſchloſſen) hinein in den ganzen
Vogelſang, und — ich bin wieder allein auf die
alte Frau im Korbſeſſel an dem Fenſter angewieſen
und ein Vagabund — ein Wanderer im Leben —
zerlumpter denn je. In die hieſigen Verhältniſſe
habe ich mich übrigens eingelebt, daß ich meinen
jüngſten Freunden keinen Grund zur Verwunderung
mehr gebe. Wünſcheſt Du mich auch als Millionär
wiederzuſehen wie Mr. Charles Trotzendorff? Oder
ziehſt Du den deutſch-amerikaniſchen Staatsmann,
Muſter: Karl Schurz, vor? Meine Vogelſang¬
ſtudien im Engliſchen, unſerer Kleinen zuliebe,
kommen mir jetzt wundervoll zu ſtatten. Die
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[186/0196] ſie mir nicht annähen, worauf wir doch ſo feſt gerechnet und des Lebens Seligkeit vom Vogel¬ ſang aus gegründet hatten; und das erinnert mich nun gerade erſt recht an Deinen alten Nähtiſch, auf dem dieſer Brief, wenn der Ocean ihn nicht verſchlingt, demnächſt liegen wird und erinnert mich an Deinen Seſſel dabei und das leere „Schawelche“ daneben und den Blick durch die Epheuranken, über den Garten weg, auf den Nachbar Hartleben und ſein Anweſen (Strohwittwe Trotzendorff und Töchterlein eingeſchloſſen) hinein in den ganzen Vogelſang, und — ich bin wieder allein auf die alte Frau im Korbſeſſel an dem Fenſter angewieſen und ein Vagabund — ein Wanderer im Leben — zerlumpter denn je. In die hieſigen Verhältniſſe habe ich mich übrigens eingelebt, daß ich meinen jüngſten Freunden keinen Grund zur Verwunderung mehr gebe. Wünſcheſt Du mich auch als Millionär wiederzuſehen wie Mr. Charles Trotzendorff? Oder ziehſt Du den deutſch-amerikaniſchen Staatsmann, Muſter: Karl Schurz, vor? Meine Vogelſang¬ ſtudien im Engliſchen, unſerer Kleinen zuliebe, kommen mir jetzt wundervoll zu ſtatten. Die Phraſen und den Tonfall um eine „Mäh“ jauch¬ zende Menſchenanſammlung zum „Bäh“ jammern zu bringen, und das politiſche Thier, Menſch ge¬

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/196>, abgerufen am 19.04.2024.