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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Ich habe das auch aus meiner Amts- und Geschäfts¬
praxis sehr, sehr in den Akten. --

Velten schrieb:

"Sie haben sie uns genommen, Mutter, und
sind völlig in ihrem Recht, da sie das nach ihrer
Meinung beste Theil für sie gewählt haben. Ich
habe sie verloren; aber diesmal bin ich nicht schuld
daran, das Glück der Erde verpaßt zu haben. Du
weißt, wie oft man mir das bei Euch zu Hause
aufzuriechen gab, und, wenn die beleidigte Nase
darob nicht lief, wie die eines geschlagenen Schul¬
jungen, sondern sich nur trocken-tückisch krauste,
nicht nur von allen Schlechtigkeiten menschlichen
Charakters, sondern auch von absoluter, boden¬
loser, randundbandloser Charakterlosigkeit sprach.
Ich habe das Meinige gethan, durch Stunden,
Tage, Wochen, Monate und Jahre, bei Tag und
Nacht, bei Allem, was ich gethan, überdacht und
gedacht habe, den schönen Schmetterling für mich
-- für uns festzuhalten: nun stehe ich wieder
wie ein Schuljunge, und besehe an den Fingern
den bunten Farbenstaub von den Flügeln des
entflatterten Buttervogels und denke vor Allem
an die alte Frau zu Hause, die da sitzt
und sich fragt: Was für eine Nase wird er
diesmal machen? -- Mutter, mein -- unser

Ich habe das auch aus meiner Amts- und Geſchäfts¬
praxis ſehr, ſehr in den Akten. —

Velten ſchrieb:

„Sie haben ſie uns genommen, Mutter, und
ſind völlig in ihrem Recht, da ſie das nach ihrer
Meinung beſte Theil für ſie gewählt haben. Ich
habe ſie verloren; aber diesmal bin ich nicht ſchuld
daran, das Glück der Erde verpaßt zu haben. Du
weißt, wie oft man mir das bei Euch zu Hauſe
aufzuriechen gab, und, wenn die beleidigte Naſe
darob nicht lief, wie die eines geſchlagenen Schul¬
jungen, ſondern ſich nur trocken-tückiſch krauſte,
nicht nur von allen Schlechtigkeiten menſchlichen
Charakters, ſondern auch von abſoluter, boden¬
loſer, randundbandloſer Charakterloſigkeit ſprach.
Ich habe das Meinige gethan, durch Stunden,
Tage, Wochen, Monate und Jahre, bei Tag und
Nacht, bei Allem, was ich gethan, überdacht und
gedacht habe, den ſchönen Schmetterling für mich
— für uns feſtzuhalten: nun ſtehe ich wieder
wie ein Schuljunge, und beſehe an den Fingern
den bunten Farbenſtaub von den Flügeln des
entflatterten Buttervogels und denke vor Allem
an die alte Frau zu Hauſe, die da ſitzt
und ſich fragt: Was für eine Naſe wird er
diesmal machen? — Mutter, mein — unſer

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[184/0194] Ich habe das auch aus meiner Amts- und Geſchäfts¬ praxis ſehr, ſehr in den Akten. — Velten ſchrieb: „Sie haben ſie uns genommen, Mutter, und ſind völlig in ihrem Recht, da ſie das nach ihrer Meinung beſte Theil für ſie gewählt haben. Ich habe ſie verloren; aber diesmal bin ich nicht ſchuld daran, das Glück der Erde verpaßt zu haben. Du weißt, wie oft man mir das bei Euch zu Hauſe aufzuriechen gab, und, wenn die beleidigte Naſe darob nicht lief, wie die eines geſchlagenen Schul¬ jungen, ſondern ſich nur trocken-tückiſch krauſte, nicht nur von allen Schlechtigkeiten menſchlichen Charakters, ſondern auch von abſoluter, boden¬ loſer, randundbandloſer Charakterloſigkeit ſprach. Ich habe das Meinige gethan, durch Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre, bei Tag und Nacht, bei Allem, was ich gethan, überdacht und gedacht habe, den ſchönen Schmetterling für mich — für uns feſtzuhalten: nun ſtehe ich wieder wie ein Schuljunge, und beſehe an den Fingern den bunten Farbenſtaub von den Flügeln des entflatterten Buttervogels und denke vor Allem an die alte Frau zu Hauſe, die da ſitzt und ſich fragt: Was für eine Naſe wird er diesmal machen? — Mutter, mein — unſer

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/194>, abgerufen am 24.04.2024.