Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

mit vollstem Recht ein. Er, mein Freund, ist in
seinem kurzen Leben Alles gewesen: Gelehrter, Kauf¬
mann, Luftschiffer, Soldat, Schiffsmann, Zeitungs¬
schreiber -- aber gebracht hat er es nach bürgerlichen
Begriffen zu Nichts und ich kann es auch nicht zu
diesen Akten beibringen, daß er sich je um etwas
Anderes die richtige Mühe gegeben habe, als um das
kleine Mädchen aus dem Vogelsang, die heutige
Wittwe Mungo aus Chicago. --

Baissez-vous, montagnes,
Haussez-vous, vallons!
M'empechez de voir
Ma mi' Madeion. --

Es läuft immer auf, wenn auch melancholische,
so doch nüchterne Nachüberlegung hinaus; aber auch
an diesem Abend muß ich wieder seufzen: Wie
anders hätte doch sein Leben werden können, wenn
er ein Ohr gehabt hätte für die süße Stimme aus
der Heimath und Augen für die tiefen, treuen,
traurigen Blicke, die scheu, angstvoll, verstohlen ihm
hier folgten und so gern bis zum Ende, mochte das
auch werden wie es wollte, über ihn gemacht hätten.

Mit dem Hause des Beaux, das heißt dem
alten Herrn und Freund Leon ist er übrigens im
regen Verkehr geblieben; und wenn er einmal wie
des Spaßes wegen, als ein recht wohlhabender Mann,

mit vollſtem Recht ein. Er, mein Freund, iſt in
ſeinem kurzen Leben Alles geweſen: Gelehrter, Kauf¬
mann, Luftſchiffer, Soldat, Schiffsmann, Zeitungs¬
ſchreiber — aber gebracht hat er es nach bürgerlichen
Begriffen zu Nichts und ich kann es auch nicht zu
dieſen Akten beibringen, daß er ſich je um etwas
Anderes die richtige Mühe gegeben habe, als um das
kleine Mädchen aus dem Vogelſang, die heutige
Wittwe Mungo aus Chicago. —

Baissez-vous, montagnes,
Haussez-vous, vallons!
M'empechez de voir
Ma mi' Madeion. —

Es läuft immer auf, wenn auch melancholiſche,
ſo doch nüchterne Nachüberlegung hinaus; aber auch
an dieſem Abend muß ich wieder ſeufzen: Wie
anders hätte doch ſein Leben werden können, wenn
er ein Ohr gehabt hätte für die ſüße Stimme aus
der Heimath und Augen für die tiefen, treuen,
traurigen Blicke, die ſcheu, angſtvoll, verſtohlen ihm
hier folgten und ſo gern bis zum Ende, mochte das
auch werden wie es wollte, über ihn gemacht hätten.

Mit dem Hauſe des Beaux, das heißt dem
alten Herrn und Freund Leon iſt er übrigens im
regen Verkehr geblieben; und wenn er einmal wie
des Spaßes wegen, als ein recht wohlhabender Mann,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0184" n="174"/>
mit voll&#x017F;tem Recht ein. Er, mein Freund, i&#x017F;t in<lb/>
&#x017F;einem kurzen Leben Alles gewe&#x017F;en: Gelehrter, Kauf¬<lb/>
mann, Luft&#x017F;chiffer, Soldat, Schiffsmann, Zeitungs¬<lb/>
&#x017F;chreiber &#x2014; aber gebracht hat er es nach bürgerlichen<lb/>
Begriffen zu Nichts und ich kann es auch nicht zu<lb/>
die&#x017F;en Akten beibringen, daß er &#x017F;ich je um etwas<lb/>
Anderes die richtige Mühe gegeben habe, als um das<lb/>
kleine Mädchen aus dem Vogel&#x017F;ang, die heutige<lb/>
Wittwe Mungo aus Chicago. &#x2014;</p><lb/>
      <lg type="poem">
        <l rendition="#et #aq">Baissez-vous, montagnes,</l><lb/>
        <l rendition="#et #aq">Haussez-vous, vallons!</l><lb/>
        <l rendition="#et #aq">M'empechez de voir</l><lb/>
        <l rendition="#et #aq">Ma mi' Madeion. &#x2014;</l><lb/>
      </lg>
      <p>Es läuft immer auf, wenn auch melancholi&#x017F;che,<lb/>
&#x017F;o doch nüchterne Nachüberlegung hinaus; aber auch<lb/>
an die&#x017F;em Abend muß ich wieder &#x017F;eufzen: Wie<lb/>
anders hätte doch &#x017F;ein Leben werden können, wenn<lb/>
er ein Ohr gehabt hätte für die &#x017F;üße Stimme aus<lb/>
der Heimath und Augen für die tiefen, treuen,<lb/>
traurigen Blicke, die &#x017F;cheu, ang&#x017F;tvoll, ver&#x017F;tohlen ihm<lb/>
hier folgten und &#x017F;o gern bis zum Ende, mochte das<lb/>
auch werden wie es wollte, über ihn gemacht hätten.</p><lb/>
      <p>Mit dem Hau&#x017F;e des Beaux, das heißt dem<lb/>
alten Herrn und Freund Leon i&#x017F;t er übrigens im<lb/>
regen Verkehr geblieben; und wenn er einmal wie<lb/>
des Spaßes wegen, als ein recht wohlhabender Mann,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0184] mit vollſtem Recht ein. Er, mein Freund, iſt in ſeinem kurzen Leben Alles geweſen: Gelehrter, Kauf¬ mann, Luftſchiffer, Soldat, Schiffsmann, Zeitungs¬ ſchreiber — aber gebracht hat er es nach bürgerlichen Begriffen zu Nichts und ich kann es auch nicht zu dieſen Akten beibringen, daß er ſich je um etwas Anderes die richtige Mühe gegeben habe, als um das kleine Mädchen aus dem Vogelſang, die heutige Wittwe Mungo aus Chicago. — Baissez-vous, montagnes, Haussez-vous, vallons! M'empechez de voir Ma mi' Madeion. — Es läuft immer auf, wenn auch melancholiſche, ſo doch nüchterne Nachüberlegung hinaus; aber auch an dieſem Abend muß ich wieder ſeufzen: Wie anders hätte doch ſein Leben werden können, wenn er ein Ohr gehabt hätte für die ſüße Stimme aus der Heimath und Augen für die tiefen, treuen, traurigen Blicke, die ſcheu, angſtvoll, verſtohlen ihm hier folgten und ſo gern bis zum Ende, mochte das auch werden wie es wollte, über ihn gemacht hätten. Mit dem Hauſe des Beaux, das heißt dem alten Herrn und Freund Leon iſt er übrigens im regen Verkehr geblieben; und wenn er einmal wie des Spaßes wegen, als ein recht wohlhabender Mann,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/184
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/184>, abgerufen am 28.03.2024.