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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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oder ob er eines Abends anklopft und sagt: ,Da
bin ich wieder, Herr Hartleben; es ist mir diesmal
nicht geglückt und es wäre mir ein Gefallen, wenn
Sie diese Nacht einen Platz auf dem Stroh und
morgen früh einen Tausendmarkschein zum neuen
Anfangen für mich hätten.' Aber zu dem Letzteren noch
Eines zu Ihrem Trost, Frau Doktern! Wenn Einer
hier im Vogelsang im Stillen auf Ihren Herrn Sohn
gepaßt hat, so bin ich das und weiß: er klopft nie¬
malen so an. Ein Kopfkissen auf dem letzten Stroh
müßte man dem schon mit vielen Finessen und Höf¬
lichkeiten ankomplimentiren. Der junge Satan
hatte das weichste Herz hier im ganzen Vogelsang --
nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich auch vor
Ihnen so rede, Herr Karl, Herr Assessor! -- aber
wenn es Dem einmal gefriert, so wird ein Eisklumpen
draus, mit dem man der ganzen Menschheit den
Hirnkasten einschmeißen könnte! Und nun nehmen
Sie es nicht übel, Frau Nachbarin und Herr Krum¬
hardt, daß ich Sie so lange aufgehalten habe, aber
ich habe ja heute auch von einem Eigenthum Abschied
genommen, das mir mein ganzes Leben durch ans
Herz gewachsen gewesen ist, und so bin ich denn bei Ihnen
mit auf dem Bahnhofe in Gedanken gewesen, mehr
als ein Anderer hier im Vogelsang, und weiß Sie
zu erkennen, liebste Frau Nachbarin. In früheren

oder ob er eines Abends anklopft und ſagt: ‚Da
bin ich wieder, Herr Hartleben; es iſt mir diesmal
nicht geglückt und es wäre mir ein Gefallen, wenn
Sie dieſe Nacht einen Platz auf dem Stroh und
morgen früh einen Tauſendmarkſchein zum neuen
Anfangen für mich hätten.‘ Aber zu dem Letzteren noch
Eines zu Ihrem Troſt, Frau Doktern! Wenn Einer
hier im Vogelſang im Stillen auf Ihren Herrn Sohn
gepaßt hat, ſo bin ich das und weiß: er klopft nie¬
malen ſo an. Ein Kopfkiſſen auf dem letzten Stroh
müßte man dem ſchon mit vielen Fineſſen und Höf¬
lichkeiten ankomplimentiren. Der junge Satan
hatte das weichſte Herz hier im ganzen Vogelſang —
nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich auch vor
Ihnen ſo rede, Herr Karl, Herr Aſſeſſor! — aber
wenn es Dem einmal gefriert, ſo wird ein Eisklumpen
draus, mit dem man der ganzen Menſchheit den
Hirnkaſten einſchmeißen könnte! Und nun nehmen
Sie es nicht übel, Frau Nachbarin und Herr Krum¬
hardt, daß ich Sie ſo lange aufgehalten habe, aber
ich habe ja heute auch von einem Eigenthum Abſchied
genommen, das mir mein ganzes Leben durch ans
Herz gewachſen geweſen iſt, und ſo bin ich denn bei Ihnen
mit auf dem Bahnhofe in Gedanken geweſen, mehr
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[170/0180] oder ob er eines Abends anklopft und ſagt: ‚Da bin ich wieder, Herr Hartleben; es iſt mir diesmal nicht geglückt und es wäre mir ein Gefallen, wenn Sie dieſe Nacht einen Platz auf dem Stroh und morgen früh einen Tauſendmarkſchein zum neuen Anfangen für mich hätten.‘ Aber zu dem Letzteren noch Eines zu Ihrem Troſt, Frau Doktern! Wenn Einer hier im Vogelſang im Stillen auf Ihren Herrn Sohn gepaßt hat, ſo bin ich das und weiß: er klopft nie¬ malen ſo an. Ein Kopfkiſſen auf dem letzten Stroh müßte man dem ſchon mit vielen Fineſſen und Höf¬ lichkeiten ankomplimentiren. Der junge Satan hatte das weichſte Herz hier im ganzen Vogelſang — nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich auch vor Ihnen ſo rede, Herr Karl, Herr Aſſeſſor! — aber wenn es Dem einmal gefriert, ſo wird ein Eisklumpen draus, mit dem man der ganzen Menſchheit den Hirnkaſten einſchmeißen könnte! Und nun nehmen Sie es nicht übel, Frau Nachbarin und Herr Krum¬ hardt, daß ich Sie ſo lange aufgehalten habe, aber ich habe ja heute auch von einem Eigenthum Abſchied genommen, das mir mein ganzes Leben durch ans Herz gewachſen geweſen iſt, und ſo bin ich denn bei Ihnen mit auf dem Bahnhofe in Gedanken geweſen, mehr als ein Anderer hier im Vogelſang, und weiß Sie zu erkennen, liebſte Frau Nachbarin. In früheren

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/180>, abgerufen am 20.04.2024.