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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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und die steile, enge Treppe, die zu der Frau Fecht¬
meisterin Feucht und ihrer wechselnden studentischen
Mietherschaar hinaufführte. Die Thürglocke hatte noch
denselben schrillen Klang wie früher, und was die
Thür öffnete, war noch dasselbige ritterliche Zwergen¬
weiblein wie früher, und wer sich am wenigsten ver¬
ändert hatte, das war die Frau Fechtmeisterin Feucht;
und wie immer mit dem Strickzeug in den Händen
und dem dazu gehörigen Garnknäul unterm linken
Arm: wohin kommen alle die Strümpfe, die solche
liebe, auf dem Altentheil und ihren Erinnerungen
sitzende alte Damen stricken? Von denen, die aus
den Händen der Frau Fechtmeisterin hervorgingen,
hätte es manch ein akademischer Bürger der Friedrich-
Wilhelms-Universität zu Berlin durch manch ein
Semester statistisch ganz genau nachweisen können. --

Sie erkannte mich nicht gleich. Es lagen ja
zwei Staatsexamen zwischen unserm letzten Zusammen¬
sein und dem heutigen Besuch.

"Sie?" rief sie dann. "Also endlich? Wenn
ich nach einem Menschen auf Erden ausgesehen habe,
so sind Sie das."

Und mir die Thür ihres Stübchens öffnend, schob
sie mich hinein.

"Da haben wir den Zweiten aus dem Vogel¬
sang, Leonie. Jetzt aber auf die Mensur mit mir,

und die ſteile, enge Treppe, die zu der Frau Fecht¬
meiſterin Feucht und ihrer wechſelnden ſtudentiſchen
Mietherſchaar hinaufführte. Die Thürglocke hatte noch
denſelben ſchrillen Klang wie früher, und was die
Thür öffnete, war noch dasſelbige ritterliche Zwergen¬
weiblein wie früher, und wer ſich am wenigſten ver¬
ändert hatte, das war die Frau Fechtmeiſterin Feucht;
und wie immer mit dem Strickzeug in den Händen
und dem dazu gehörigen Garnknäul unterm linken
Arm: wohin kommen alle die Strümpfe, die ſolche
liebe, auf dem Altentheil und ihren Erinnerungen
ſitzende alte Damen ſtricken? Von denen, die aus
den Händen der Frau Fechtmeiſterin hervorgingen,
hätte es manch ein akademiſcher Bürger der Friedrich-
Wilhelms-Univerſität zu Berlin durch manch ein
Semeſter ſtatiſtiſch ganz genau nachweiſen können. —

Sie erkannte mich nicht gleich. Es lagen ja
zwei Staatsexamen zwiſchen unſerm letzten Zuſammen¬
ſein und dem heutigen Beſuch.

„Sie?“ rief ſie dann. „Alſo endlich? Wenn
ich nach einem Menſchen auf Erden ausgeſehen habe,
ſo ſind Sie das.“

Und mir die Thür ihres Stübchens öffnend, ſchob
ſie mich hinein.

„Da haben wir den Zweiten aus dem Vogel¬
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[154/0164] und die ſteile, enge Treppe, die zu der Frau Fecht¬ meiſterin Feucht und ihrer wechſelnden ſtudentiſchen Mietherſchaar hinaufführte. Die Thürglocke hatte noch denſelben ſchrillen Klang wie früher, und was die Thür öffnete, war noch dasſelbige ritterliche Zwergen¬ weiblein wie früher, und wer ſich am wenigſten ver¬ ändert hatte, das war die Frau Fechtmeiſterin Feucht; und wie immer mit dem Strickzeug in den Händen und dem dazu gehörigen Garnknäul unterm linken Arm: wohin kommen alle die Strümpfe, die ſolche liebe, auf dem Altentheil und ihren Erinnerungen ſitzende alte Damen ſtricken? Von denen, die aus den Händen der Frau Fechtmeiſterin hervorgingen, hätte es manch ein akademiſcher Bürger der Friedrich- Wilhelms-Univerſität zu Berlin durch manch ein Semeſter ſtatiſtiſch ganz genau nachweiſen können. — Sie erkannte mich nicht gleich. Es lagen ja zwei Staatsexamen zwiſchen unſerm letzten Zuſammen¬ ſein und dem heutigen Beſuch. „Sie?“ rief ſie dann. „Alſo endlich? Wenn ich nach einem Menſchen auf Erden ausgeſehen habe, ſo ſind Sie das.“ Und mir die Thür ihres Stübchens öffnend, ſchob ſie mich hinein. „Da haben wir den Zweiten aus dem Vogel¬ ſang, Leonie. Jetzt aber auf die Menſur mit mir,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/164>, abgerufen am 24.04.2024.