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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Nagel zu hängen, jeglichen Federbusch als Staub¬
wedel zu vergeben und vor Allem das gelahrte Tinten¬
faß in den Gossenstein zu gießen, den Plato und
den Aristoteles zuzuklappen und Schneider zu werden!
Meine Alte billigt meinen Entschluß; an Ihren Papa
habe ich bereits geschrieben, des Beaux. Was fällt
euch an? Entzückung oder Schmerzen?"

Wir standen aufrecht auf den Beinen, Leon und
ich, und stierten auf ihn herunter.

"Bist Du nicht bei Troste, Velten?"

"Wie gewöhnlich! Sonst aber nur ein neuer
Unsinn von dem Schlingel! würde der Vogelsang
sagen," lachte der wirkliche Heros des Vogelsangs,
sich nur noch etwas behaglicher unter der Eiche, in
der sich einst Fräulein Helene Trotzendorff verklettert
hatte, zurechtlegend. "Ja, so ist es, meine Herren!
So halten wir uns für frei und werden an Ketten
geführt. Und die eisernen sind nicht die unzerrei߬
barsten; jeder im Spinnweb zappelnde Brummer
kann darüber nachsagen. Sie und Ihre liebe Schwester,
Leon, ebenfalls, aber gottlob mit frommseligen, närrischen
Traumaugen -- ich bitte Sie, des Beaux, sehen
Sie nicht so dumm aus: es verhält sich so! Es ist
wahrlich keine kleine Vergünstigung der Götter, wie
ihr guten Kinder im blauen Himmel der Provence
an euren Goldfäden über der Mark Brandenburg

Nagel zu hängen, jeglichen Federbuſch als Staub¬
wedel zu vergeben und vor Allem das gelahrte Tinten¬
faß in den Goſſenſtein zu gießen, den Plato und
den Ariſtoteles zuzuklappen und Schneider zu werden!
Meine Alte billigt meinen Entſchluß; an Ihren Papa
habe ich bereits geſchrieben, des Beaux. Was fällt
euch an? Entzückung oder Schmerzen?“

Wir ſtanden aufrecht auf den Beinen, Leon und
ich, und ſtierten auf ihn herunter.

„Biſt Du nicht bei Troſte, Velten?“

„Wie gewöhnlich! Sonſt aber nur ein neuer
Unſinn von dem Schlingel! würde der Vogelſang
ſagen,“ lachte der wirkliche Heros des Vogelſangs,
ſich nur noch etwas behaglicher unter der Eiche, in
der ſich einſt Fräulein Helene Trotzendorff verklettert
hatte, zurechtlegend. „Ja, ſo iſt es, meine Herren!
So halten wir uns für frei und werden an Ketten
geführt. Und die eiſernen ſind nicht die unzerrei߬
barſten; jeder im Spinnweb zappelnde Brummer
kann darüber nachſagen. Sie und Ihre liebe Schweſter,
Leon, ebenfalls, aber gottlob mit frommſeligen, närriſchen
Traumaugen — ich bitte Sie, des Beaux, ſehen
Sie nicht ſo dumm aus: es verhält ſich ſo! Es iſt
wahrlich keine kleine Vergünſtigung der Götter, wie
ihr guten Kinder im blauen Himmel der Provence
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[144/0154] Nagel zu hängen, jeglichen Federbuſch als Staub¬ wedel zu vergeben und vor Allem das gelahrte Tinten¬ faß in den Goſſenſtein zu gießen, den Plato und den Ariſtoteles zuzuklappen und Schneider zu werden! Meine Alte billigt meinen Entſchluß; an Ihren Papa habe ich bereits geſchrieben, des Beaux. Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?“ Wir ſtanden aufrecht auf den Beinen, Leon und ich, und ſtierten auf ihn herunter. „Biſt Du nicht bei Troſte, Velten?“ „Wie gewöhnlich! Sonſt aber nur ein neuer Unſinn von dem Schlingel! würde der Vogelſang ſagen,“ lachte der wirkliche Heros des Vogelſangs, ſich nur noch etwas behaglicher unter der Eiche, in der ſich einſt Fräulein Helene Trotzendorff verklettert hatte, zurechtlegend. „Ja, ſo iſt es, meine Herren! So halten wir uns für frei und werden an Ketten geführt. Und die eiſernen ſind nicht die unzerrei߬ barſten; jeder im Spinnweb zappelnde Brummer kann darüber nachſagen. Sie und Ihre liebe Schweſter, Leon, ebenfalls, aber gottlob mit frommſeligen, närriſchen Traumaugen — ich bitte Sie, des Beaux, ſehen Sie nicht ſo dumm aus: es verhält ſich ſo! Es iſt wahrlich keine kleine Vergünſtigung der Götter, wie ihr guten Kinder im blauen Himmel der Provence an euren Goldfäden über der Mark Brandenburg

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/154>, abgerufen am 29.03.2024.