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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Es war ein wunderlich behagliches Leben dort
bei der Frau Fechtmeisterin Feucht in Veltens erstem
Studentenstübchen und in des alten deutsch-französischen
Schneidermeisters und seiner Kinder Zaubererinnerungs¬
raum. Von außen sah man es dem Hause in der Doro¬
theenstraße wahrhaftig nicht an, was es in seinem
innersten Innern barg. Daß ich, ein deutscher
Studiosus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen
sei, um mich in meiner Wissenschaft daselbst noch
mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage
mehr aus dem Begriff verloren. In dieser Beziehung
war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt
mir nur kurz von meinem Vater bemessen worden
war. Die Einzige, der ich zu Hause dieses Semester
hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin
Andres. Die aber wußte natürlich schon sehr Bescheid,
wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptstadt
und lächelte trübe:

"Ja, ich weiß schon. Daß sich das Kind drüben in
Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich."

Mit einem leisen Seufzer und seinem Blick
über die nächste Nähe fügte sie hinzu und glaubte
fest an ihr eigen Wort:

"Du kennst ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie
wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe."

So reden die Weiber, wie sie das Glück und

Es war ein wunderlich behagliches Leben dort
bei der Frau Fechtmeiſterin Feucht in Veltens erſtem
Studentenſtübchen und in des alten deutſch-franzöſiſchen
Schneidermeiſters und ſeiner Kinder Zaubererinnerungs¬
raum. Von außen ſah man es dem Hauſe in der Doro¬
theenſtraße wahrhaftig nicht an, was es in ſeinem
innerſten Innern barg. Daß ich, ein deutſcher
Studioſus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen
ſei, um mich in meiner Wiſſenſchaft daſelbſt noch
mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage
mehr aus dem Begriff verloren. In dieſer Beziehung
war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt
mir nur kurz von meinem Vater bemeſſen worden
war. Die Einzige, der ich zu Hauſe dieſes Semeſter
hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin
Andres. Die aber wußte natürlich ſchon ſehr Beſcheid,
wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptſtadt
und lächelte trübe:

„Ja, ich weiß ſchon. Daß ſich das Kind drüben in
Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich.“

Mit einem leiſen Seufzer und ſeinem Blick
über die nächſte Nähe fügte ſie hinzu und glaubte
feſt an ihr eigen Wort:

„Du kennſt ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie
wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe.“

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[134/0144] Es war ein wunderlich behagliches Leben dort bei der Frau Fechtmeiſterin Feucht in Veltens erſtem Studentenſtübchen und in des alten deutſch-franzöſiſchen Schneidermeiſters und ſeiner Kinder Zaubererinnerungs¬ raum. Von außen ſah man es dem Hauſe in der Doro¬ theenſtraße wahrhaftig nicht an, was es in ſeinem innerſten Innern barg. Daß ich, ein deutſcher Studioſus der Jurisprudenz, nach Berlin gekommen ſei, um mich in meiner Wiſſenſchaft daſelbſt noch mehr zu vervollkommnen, ging mir von Tag zu Tage mehr aus dem Begriff verloren. In dieſer Beziehung war es ein Glück zu nennen, daß mein Aufenthalt mir nur kurz von meinem Vater bemeſſen worden war. Die Einzige, der ich zu Hauſe dieſes Semeſter hätte begreiflich machen können, war die Frau Doktorin Andres. Die aber wußte natürlich ſchon ſehr Beſcheid, wies auf einen Haufen Briefe aus der Reichshauptſtadt und lächelte trübe: „Ja, ich weiß ſchon. Daß ſich das Kind drüben in Amerika wieder zu den Seinen finden würde, wußte ich.“ Mit einem leiſen Seufzer und ſeinem Blick über die nächſte Nähe fügte ſie hinzu und glaubte feſt an ihr eigen Wort: „Du kennſt ihn ja, lieber Karl, und weißt, wie wenig Einfluß ich von jeher auf ihn gehabt habe.“ So reden die Weiber, wie ſie das Glück und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/144>, abgerufen am 24.04.2024.