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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Freunde zu begrüßen und zugleich Weib und Kind
zu sich zu holen.


Wie mir mein von Vorgesetzten und Unter¬
gebenen anerkannter guter Geschäftsstil abhanden
kommt, je länger ich diese Blätter beschreibe, je klarer
und deutlicher ich mir das zu Sinnen und Gedanken
bringe, was ich hier dem Papier übergebe! Was
bis jetzt das Nüchternste war, wird jetzt zum Ge¬
spenstischsten. Sie wackeln, die Aktenhaufen, sie
werden unruhig und unruhiger um mich her in ihren
Fächern an den Wänden und machen mehr und mehr
Miene, auf mich einzustürzen. Ich kann nichts da¬
gegen; zum ersten Mal will an diesem Schreibtisch,
jawohl an diesem Schreibtisch, die Feder in meiner
Hand nicht so wie ich; und Velten Andres ist wieder
Schuld daran. Was meinem armen Vater seiner Zeit
so oft Verdruß und Sorgen machte, das Übergewicht
dieses "Menschen" über mich, das ist heute noch
ebenso sehr da, wie in jenen Tagen, wo er mich
durch die Hecke und über die Zäune des Vogelsangs
zu jedem Flug ins Blaue aus dem Schul-, Haus-
und Familienwerkeltag wegholte und wir Helene
Trotzendorff mit uns nahmen, wenn sie uns nicht
gar voranflog.

Freunde zu begrüßen und zugleich Weib und Kind
zu ſich zu holen.


Wie mir mein von Vorgeſetzten und Unter¬
gebenen anerkannter guter Geſchäftsſtil abhanden
kommt, je länger ich dieſe Blätter beſchreibe, je klarer
und deutlicher ich mir das zu Sinnen und Gedanken
bringe, was ich hier dem Papier übergebe! Was
bis jetzt das Nüchternſte war, wird jetzt zum Ge¬
ſpenſtiſchſten. Sie wackeln, die Aktenhaufen, ſie
werden unruhig und unruhiger um mich her in ihren
Fächern an den Wänden und machen mehr und mehr
Miene, auf mich einzuſtürzen. Ich kann nichts da¬
gegen; zum erſten Mal will an dieſem Schreibtiſch,
jawohl an dieſem Schreibtiſch, die Feder in meiner
Hand nicht ſo wie ich; und Velten Andres iſt wieder
Schuld daran. Was meinem armen Vater ſeiner Zeit
ſo oft Verdruß und Sorgen machte, das Übergewicht
dieſes „Menſchen“ über mich, das iſt heute noch
ebenſo ſehr da, wie in jenen Tagen, wo er mich
durch die Hecke und über die Zäune des Vogelſangs
zu jedem Flug ins Blaue aus dem Schul-, Haus-
und Familienwerkeltag wegholte und wir Helene
Trotzendorff mit uns nahmen, wenn ſie uns nicht
gar voranflog.

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[94/0104] Freunde zu begrüßen und zugleich Weib und Kind zu ſich zu holen. Wie mir mein von Vorgeſetzten und Unter¬ gebenen anerkannter guter Geſchäftsſtil abhanden kommt, je länger ich dieſe Blätter beſchreibe, je klarer und deutlicher ich mir das zu Sinnen und Gedanken bringe, was ich hier dem Papier übergebe! Was bis jetzt das Nüchternſte war, wird jetzt zum Ge¬ ſpenſtiſchſten. Sie wackeln, die Aktenhaufen, ſie werden unruhig und unruhiger um mich her in ihren Fächern an den Wänden und machen mehr und mehr Miene, auf mich einzuſtürzen. Ich kann nichts da¬ gegen; zum erſten Mal will an dieſem Schreibtiſch, jawohl an dieſem Schreibtiſch, die Feder in meiner Hand nicht ſo wie ich; und Velten Andres iſt wieder Schuld daran. Was meinem armen Vater ſeiner Zeit ſo oft Verdruß und Sorgen machte, das Übergewicht dieſes „Menſchen“ über mich, das iſt heute noch ebenſo ſehr da, wie in jenen Tagen, wo er mich durch die Hecke und über die Zäune des Vogelſangs zu jedem Flug ins Blaue aus dem Schul-, Haus- und Familienwerkeltag wegholte und wir Helene Trotzendorff mit uns nahmen, wenn ſie uns nicht gar voranflog.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/104>, abgerufen am 24.04.2024.